: Das Bett als letzter Wohnort perdu
■ Der Entwurf eines „Bundespflegegesetzes“ von Grünen und Grauen Panthern aus den achtziger Jahren thematisiert Pflege nicht ausschließlich als Finanzierungsproblem
Eine Diskussion über die Neuordnung der Pflegefinanzierung gibt es bereits seit Mitte der 70er Jahre, als sich abzeichnete, daß die Sozialhilfeträger immer größere Summen für Pflegebedürftige ausgeben müssen. Die sozialliberale Koalition ging das Problem jedoch nicht an. Die Konservativen verpflichteten sich dann zwar, Neuregelungen für die Pflegebedürftigkeit zu ersinnen, dokterten aber zunächst an Einzelregelungen herum. Sie beschlossen finanzielle Hilfen für Schwerstpflegebedürftige oder steuerliche Begünstigungen für die Hausfrau, die daheim Angehörige pflegt. Aus der Opposition heraus schlug die SPD schließlich eine Pflegeversicherung als neuen Zweig der Sozialversicherung vor, deren Träger die Krankenkassen sein sollten. Aussicht auf eine Mehrheit hatte das damals nicht.
Im Unterschied zu den Alt-Parteien thematisierten Grüne und Graue Panther die Finanzierung der Pflege nie nur als Geldproblem und Suche nach finanzieller Entlastung für die öffentlichen Haushalte, sondern stets als Frage nach Lebensformen im Alter. Zuerst 1984, und, in überarbeiteter Fassung, 1988 legten Grüne und Graue den Entwurf eines „Bundespflegegesetzes“ vor. Nach den Vorstellungen der Grünen sollten die Kosten dieses Gesetzes, die sie mit elf Milliarden Mark veranschlagten, aus Steuergeldern und je zur Hälfte von Bund und Ländern getragen werden.
Kern des grünen Gesetzentwurfs war, innerhalb von zehn Jahren eine flächendeckende ambulante Versorgung aufzubauen und in derselben Zeit die Heimpflege abzuschaffen. Die Grünen kritisierten, daß die derzeitige Finanzierung Pflege in Heimen begünstige, mit der private Unternehmer und Wohlfahrtskonzerne gleichermaßen Geschäfte machen würden. Ziel ihres Entwurfs war, die Situation der Pflegebedürftigen grundlegend zu verbessern, ihr „Selbstbestimmungsrecht zu betonen“ und ihre „gesellschaftliche Aussonderung zu bekämpfen“. Entsprechend setzte das grüne Pflegegesetz Schwerpunkte:
—alle Formen und Grade der Pflegebedürftigkeit, alle Altersstufen sollen bei gleichem Bedarf auch gleich behandelt werden;
—die Pflegebedürftigen sollen ihre(n) Betreuer/in, Wohnort und -form selbst wählen können. Wer nur geringe Hilfen benötigt, um im eigenen Haushalt weiterleben zu können, hat Anspruch auf Unterstützungsgeld;
—die Kosten für ambulante Pflege werden voll übernommen, einschließlich der sozialen Absicherung der Pflegepersonen. Wer nur leichte Hilfe benötigt, erhält pauschal — je nach Grad der Pflegebedürftigkeit — Pflegegeld;
—Heimpflege wird nur auf Wunsch der Betroffenen finanziert, die Rückkehr in die eigene Wohnung oder eine frei gewählte Hausgemeinschaft muß gewährleistet und finanziert werden.
Weiter sah das Bundespflegegesetz der Grünen in Konfliktfällen und bei Rechtsstreitigkeiten Mitbestimmungsmöglichkeiten für die Betroffenen vor wie Pflegekommissionen bei den Landkreisen und kreisfreien Städten sowie Ombudsleute. Die Bundesregierung sollte per Gesetz verpflichtet werden, nach fünf Jahren einen Zwischenbericht über die langsame Auflösung der Pflege- und Altenheime und den Aufbau der ambulanten Versorgung vorzulegen. Das Bett auf der Pflegestation als letzter Wohnort eines Menschen sollte nach dem grünen Gesetzentwurf binnen zehn Jahren der Vergangenheit angehören. Nachdem das Bundespflegegesetz im Bundestag abgelehnt wurde, befürworten die Grauen Panther heute das Modell einer Pflegeversicherung, in die jedoch jede/r und nicht nur die Pflichtversicherten einzahlen sollen. bm
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