Geknickte Schwänze kämpfen gegen Gewalt

■ Neue Männer kleben in Kreuzberg Plakate »gegen Gewalt gegen Frauen«/ Feldversuch ohne Auswertung/ Motivation aus dem »Täterverhalten« heraus/ »Selbstbefreiung« in der nächtlichen Stadt statt im Wochenendseminar im Wald

Kreuzberg. An einer Grundschule in der Kreuzberger Birkstraße kleben neuerdings gelbe Plakate. »Was Euch in der Schule erzählt wird, ist nicht immer richtig«, lautet die Überschrift auf einem der Din-A3-großen Agitprop-Werke. »Jungs sollen sein: cool, stark, schlagen Schwächere, ...«, heißt es dort weiter. Muß das sein, fragen unbekannte Autoren dann rhetorisch. An insgesamt 24 Punkten zwischen Kottbusser Damm, Urban- und Grimmstraße haben die Akteure, Mitglieder einer Männergruppe, die Plakate hinterlassen. Während andere Männer auf Wochenendseminaren in Wälder ziehen, um in der Wildnis die verlorengegangene Identität herbeizuschreien und zu -schlagen, wollen die nächtlichen Kleistermänner offenbar auch den Zu-Haus-Gebliebenen einen Anstoß geben, über traditionelle Männer- und Frauenrollen nachzudenken.

Die Lehrer und Lehrerinnen der Grundschule in der Birkstraße werden aufgefordert, über ihren Anteil im »Spiel der Rollenzuweisung« nachzudenken. Die Pennäler sollten aufpassen, was Eltern, Lehrer und Lehrerinnen vorlebten. Denn dies sei für Mädchen und Frauen »total ungerecht« — die üblichen Rollen von Jungs und Mädchen, von Männern und Frauen, führten zu Gewalt gegen das weibliche Geschlecht.

Wer die Vorschläge für eine gewaltfreiere Welt an ihre Schultür geklebt hat, erfahren die Knirpse allerdings nicht. An kleinen roten Aufklebern mit verfremdeten Männerzeichen — der Pfeil ist abgeknickt — und dem Bekenntnis »Männer gegen Gewalt gegen Frauen« wird den Sechs- bis Zehnjährigen wenigsten verraten, welches Geschlecht für die Aktion verantwortlich zeichnet — das maskuline.

Drei der sieben Akteure, Mitglieder einer Männergruppe, saßen diese Woche dem taz-Reporter gegenüber. Die Aktion sei Ergebnis von vier Jahren Männergruppe, sagt ein 27jähriger mit grau-schwarz gestreifter Stretchhose, der wie die beiden anderen weiterhin inkognito bleiben möchte. Nur bei der Auswertung dieses Feldversuchs gibt es noch Probleme. Denn die Klebemänner wohnen nicht im Kiez und kennen dort offenbar auch kaum Leute. Natürlich sei man an der Reaktion interessiert, man könne seine Identität aber nicht öffentlich bekanntgeben, weil die Aktion am Rande der Illegalität sei. Machos wären mutiger.

Am meisten Auseinandersetzung hat die Aktion den weichen Propagandisten gebracht, als sie noch kein einziges Plakat geklebt hatten. Im eigenen Freundeskreis habe man die Texte, die die 24 Orte jeweils in den Zusammenhang mit Gewalt gegen Frauen setzten, intensiv diskutiert. Bekannte hätten die Aktion durchweg für »gut« befunden.

Die Motivation, Spielplätze, Kindertagesstätten, Häuserwände und Kneipen mit männerbewegten Plakaten zu bedenken, ist offenbar aus unmittelbarer Betroffenheit entstanden — aus dem »Täterverhalten«. Nicht im konkreten Sinn, denn »keiner von uns hat eine Frau vergewaltigt«, sondern in einem abstrakteren. In Auseinandersetzungen würde man Frauen an die Wand reden, in politischen Gruppen träfen Männer die Entscheidungen. Männer würden Frauen verlassen, wenn sie Kinder bekämen. Nein, nein, deshalb fühle man sich dem schwachen Geschlecht nicht gleich moralisch verpflichtet, sagt einer, für den die Aktion eine Art »Selbstbefreiung« ist. Also doch in den Wald und mit Astgabeln auf die Männerbrust klopfen?

Der 'Spiegel‘-Aufmacher »Männer schlagen zurück« vom letzten Monat verursachte verstärkten Unmut unter den neuen Männern. Auf dem mehrseitigen Bericht seien Schwanzträger auf zwei Gruppen reduziert worden — die einen würden im Wald herumrennen, die anderen versuchten, Frauen zurück an den Herd zu locken. Fehlte nur noch ein Plakat am Zeitungskiosk: Was in der Zeitung erzählt wird, ist nicht immer richtig. Dirk Wildt