: Sechs Schicksale auf einen Lucky Strike
■ Claus Räfles Feature zum Kolumbusjahr: „Das US-Syndrom oder Der Amerikaner in uns“, ARD, 23.30 Uhr
Die blauen Hosen fliegen. Die Coke- Flasche auch. Und das Ketchup. In unendliche Weiten, auf die ewige Grenze zu, die „new frontier“.
Wie die Werbung, so das Feature. Keine Kulturkritik ohne Konsumkritik. Das muß sich der Berliner Filmautor Claus Räfle (33) gesagt haben, der mit seinem ironischen Beitrag zum Kolumbusjahr auf dieser Seite des Atlantiks blieb. Er geht dem „Amerikaner in uns allen“ auf den Grund und vor allem auf die Oberfläche.
Sechs exemplarische ways of life des Hochkapitalismus, die ganz am großen Vorbild orientiert sind, hat Räfle virtuos ineinander verschachtelt. Den sächselnden Coca-Cola- Merchandiser aus Weimar mit dem Sat.1-Showmaster namens Bond. Das badende Marilyn-Double mit dem phrasenfaselnden Lucky-Strike-Manager aus Hamburg. Den gutgelaunten Börsenmakler mit der „direct-sellenden“ Tupper-Mutti.
Es ist eine Vorstellung schnell wie ein Videoclip. Interviews, Ausschnitte aus Werbespots und historische Aufnahmen der amerikanischen Erfolgsstory (Mondlandung etc.) rasen ineinander. Da wird überblendet nach Herzenlust, mit der Graphik gespielt, da schaffen eingesetzte Bilder marktwirtschaftliches Chaos. Wir wandern gerade per Endoskop-Kamera auf einer Kondensatorplatte, da fällt schon wieder eine Alka-Seltzer- Tablette quer über den Schirm. Glücksrad-Mann Peter Bond trägt das Signet „Dauerwerbesendung“ als Heiligenschein.
Jede Person hat ihre Erkennungsmusik in diesem elektronischen Flechtwerk und jede kleine Story nach eineinhalb Minuten ihren Höhepunkt. 25 Tage habe man für den Schnitt gebraucht statt der üblichen 15, erzählt Räfle ganz stolz und etwas hektisch — man hört den Spaß noch durch.
Trotz der strengen Parzellierung und hohem Tempo kommt der Zuschauer gerade noch mit. Denn da, wo's realsatirisch wird, hat sich Räfle Zeit für O-Töne genommen. „Der Marke Coca-Cola schlechthin kann eigentlich niemand das Wasser reichen“, freut sich der Kordhut tragende ehemalige Leiter des Getränkekombinats. Wenn er den schwarzbraunen Saft süffle („Morgens eine Flasche, mittags zwei“) fühle er sich „mit der großen weiten Welt verbunden“. Und der Marketingdirektor von Lucky-Strike, selbst Raucher, sagt: „19mal am Tag nehme ich die Schachtel raus und demonstriere damit, wer ich sein möchte.“ Die Lucky-Packung sei schlicht so etwas wie „eine neue Ausweiskarte“.
Der neue Film von Claus Räfle, der in diesem Jahr für sein Werk Die Blattmacher von 'Super-Illu‘ den Grimme-Preis erhielt, überzeugt durch Unterhaltsamkeit (deshalb ist der Sendetermin kurz vor Mitternacht besonders hirnrissig). Auch der süffisante, aber nicht denunziatorische Tonfall im Off amüsiert. Den liefert Jürgen Thormann, die leberwurstig-heitere Sychronstimme von Michael Caine. kotte
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