: Im Jahrhundertsommer ins Solarium
■ Trotz anhaltenden Sonnenscheins zieht es viele BerlinerInnen nach Feierabend ins Solarium/ Angeblicher Blässetrend der neunziger Jahre setzt sich noch nicht durch/ Sonnenanbeter verstärken die Einstrahlung durch Alu-Unterlagen
Berlin. Ein Rauschen geht durch den modeorientierten Blätterwald: Seit Jahren wird die noble Blässe der Haut als das kommende Schönheitsideal der Neunziger angekündigt. Beim Blick auf die braungebrannten Leiber der Berliner hat es den Anschein, als wäre die Message noch nicht so ganz durchgesickert. Ob in Schwimmbädern, Parks oder auf den Bänken der Bräunungsstudios — überall aalen sich die Kinder der Sonne auf ihren Badetüchern und bereichern die ozonhaltige Stadtluft mit den Düften von Badeölen und Sunlotion. Dabei wäre ein auf helle Haut umgedichtetes Diktat der Mode heutzutage ein Gebot der Vernunft: Das einstige Markenzeichen der Frau aus gutem Hause ist im Zeitalter des Ozonlochs schlicht ein kostensenkender Beitrag für die Gesundheit.
Der Sexappeal des braungebrannten eigenen Körpers rangiert weiterhin hoch oben auf der Wunschliste persönlicher Eitelkeiten. »Wie mache ich das Beste aus meinem Typ?« heißt hier die Preisfrage, auf die Bewohner nördlicher Breiten stets »mit exotischer Bräune« antworten. Seit neuestem ist die begehrte Färbung der Haut auch aus deutschen Landen frisch auf die Oberschenkel zu kriegen. Doch obwohl die Vorläufer der Klimakatastrophe den Urlaub am Mittelmeer überflüssig machen, obwohl die pigmentfärbenden UV-Strahlen der Sonne ungehinderter denn je die Erdatmosphäre durchdringen, suchen viele ihr braunes Heil auf den Sonnenbänken der städtischen Solarien. »Von Jahr zu Jahr steigen unsere Kundenzahlen«, berichtet Frau Kunert, Geschäftsführerin der Bräunungskette Solarent, einer der ganz Großen im Geschäft mit den Pigmenten. Trotz leichter Umsatzeinbußen wegen der »vorgezogenen Nachsaison« in diesem Jahrhundertsommer brauche man nicht über Kundenmangel zu klagen. »Am Sonntag früh sind wir immer total ausgebucht. Die fahren nachher ins Grüne und müssen sich nicht mehr in der Sonne herumquälen.«
Am bisher heißesten Tag des Jahres, am 1. Juli, herrscht bei Solarent in der Hauptstraße ein reges Kommen und Gehen. Trotz Außentemperaturen von 35 Grad im Schatten zieht es die Berufstätigen nach Feierabend auf den künstlichen Grill. Frau Lehmann vom Empfang, mit einem Gesicht wie frisch vom Kreta-Urlaub, kennt ihre Pappenheimer. »Ich zeig' Ihnen mal ein paar echte Suchtbräuner, Sie glauben gar nicht, wie viele eitle Männer es gibt!« Manuel Hartmann, Bauarbeiter, dunkelbrauner Oberkörper mit Goldkettchen um den Hals, hätte Aufstiegschancen bei der Marlboro-Werbung: »Ich krieg, auf der Baustelle immer so viele Ränder auf der Haut — abends hol' ich mir dann die nahtlosen Übergänge.« Zum Beweis öffnet er freimütig den Reißverschluß seiner hautengen Jeans. Peter Schweinskopf, Friseur, hat tagsüber keine Zeit fürs Freiluftvergnügen: »Irgendwann sieht man dann wie Dörrgemüse aus«, orakelt der Braungebrannte über die Zukunft seiner sonnengegerbten Haut. »Ich finde braun attraktiv, und andere finden das auch!« Angela Steinke liegt mit ihrer Meinung ganz im Trend der Zeit.
Etwas scheel blickt man auf die bleichgesichtige Reporterin, die noch nie ein Bräunungsstudio von innen gesehen hat. In den kleinen Kammern wird für jeden Besucher eine neue Plastikfolie über die Liege gezogen — »wegen des Schweißes«, sagt Frau Lehmann. Der nackte Kunde steckt dann wie eine Scheibe Toast zwischen grellblau strahlenden Leuchtstoffröhren. Einmütig wird dieses Erlebnis als erholsam beschrieben. »Ich war heute zehn Minuten auf dem Balkon — das kann doch kein normaler Mensch aushalten.«
Und ob er kann — offensichtlich waren die Studiogäste schon länger nicht mehr im Tiergarten unterwegs. Dort sieht man die sparsame Variante des Suchtbräuners mit Alu-Unterlage auf der ausgedörrten Grasnarbe schmoren. Mit einer Alu- Manschette um den Hals wird dann noch die Problemzone unterm Kinn auf Vordermann gebracht. FKKler am Teufelssee liegen mittags flach am Boden, am späteren Nachmittag kann man sie dann bis Sonnenuntergang in der Vertikalen bestaunen. Klarer Fall, man ist dem optimalen Einfallswinkel der kostbaren Strahlen auf der Spur. Jantje Hannover
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