: Kronzeuge gibt die Krone ab
Der angebliche Kronzeuge beim RAF-Attentat auf Alfred Herrhausen, Siegfried Nonne, dementiert alle seine Aussagen/ Er will vom Verfassungsschutz erpreßt worden sein ■ Von Klaus-Peter Klingelschmitt
Frankfurt/Main (taz) — „Es dürfte mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit feststehen, daß die ,heiße Spur‘ im Mordfall Herrhausen von intimen Kennern des Komplexes vorsätzlich gelegt wurde (taz vom 24.2.92).“ Die „intimen Kenner des Komplexes“ sind offenbar zwei Mitarbeiter des hessischen Landesamtes für Verfassungsschutz gewesen. Im Rahmen einer ARD- Brennpunkt-Sendung widerrief der von Verfassungsschutz und Bundesanwaltschaft aufgebaute „Kronzeuge“ gegen die angeblichen Mörder von Alfred Herrhausen, Siegfried Nonne, seine bisherigen Aussagen. Nonne behauptet jetzt, daß er den angeblichen RAF-Terroristen Christian Seidler und Andrea Klumpp und zwei „Phantomen“ mit den Namen „Peter“ und „Stephan“ seine Wohnung nicht zur Verfügung gestellt habe. Und auch an der Vorbereitung des Attentats sei er nicht beteiligt gewesen. Die ganze Geschichte sei eine „reine Erfindung“ von zwei Mitarbeitern des hessischen Landesamtes für Verfassungsschutz, die ihn erpreßt hätten.
Im Oktober 1990 sollen die beiden Verfassungsschützer ihren ausgemusterten Ex-Spitzel Nonne zu einem konspirativen Treffen in der Nähe einer U-Bahn-Station im Frankfurter Umland beordert haben. In diesem ersten Kontaktgespräch seien ihm von den Verfassungsschützern „mehr als 100.000 DM“ für die Übernahme einer „Schlüsselposition“ in einer frei erfundenen Story im Zusammenhang mit dem Mord an dem Vorstandsvorsitzenden der Deutschen Bank geboten worden: Nonne sollte den Kronzeugen gegen zwei namentlich bekannte und zwei unbekannte angebliche RAF-Mitglieder spielen und so den im dunkeln tappenden Fahndern der SoKo-Herrhausen endlich ein Erfolgserlebnis bescheren.
Als der physisch und psychisch schwer angeschlagene Nonne dieses „Angebot zur Kooperation“ — nach eigenen Angaben — ablehnte, hätten ihn die Verfassungsschützer bei einem zweiten Treffen in einem Taunushotel massiv unter Druck gesetzt. Wie Nonne erklärte, habe man ihm damit gedroht, ihn in eine geschlossene Anstalt zu überführen. Und auch von einem als Suizid getarnten Mord sei die Rede gewesen. Schließlich habe er sich entschlossen, das „Angebot“ anzunehmen. Der Rest der Story ist bekannt: Nonne erklärte in Vernehmungen durch das Landesamt für Verfassungsschutz und später auch vor der Bundesanwaltschaft, daß er die mutmaßlichen RAF-Mitglieder Seidler und Klumpp und die Phantome „Peter“ und „Stephan“ vor dem Attentat auf Herrhausen in seiner Wohnung in Bad Homburg beherbergt und ihnen bei der Vorbereitung des Anschlags geholfen habe. Zeugenschutzbeamte zogen „Siggi“ Nonne daraufhin aus dem Verkehr.
Die Bundesanwaltschaft verwies gestern auf ein nervenärztliches Gutachten, in dem Nonne „Glaubwürdigkeit“ bescheinigt werde. Dieses Gutachen, so die Interpretation der BAW, erhärte die Auffassung, daß Nonne die Geschichte seiner Tatbeteiligung nicht erfunden habe. Auch der Staatssekretär im hessischen Innenministerium, Kuhlenkampf, sieht „keinen Anlaß, von der bisherigen Darstellung des Falles abzurücken“. Die neuen Aussagen von Nonne, so Kuhlenkampf, seien von den betreffenden Beamten beim hessischen Landesamt für Verfassungsschutz zurückgewiesen worden. Das Brennpunkt-Team hatte dagegen recherchiert, daß einer der von Nonne als „Erpresser“ genannten Verfassungsschützer sich zum fraglichen Zeitpunkt tatsächlich in dem Taunushotel aufgehalten hatte, das von Nonne als Treffpunkt angegeben worden war. Die These von den „Sprengstoffkomponenten“ im Keller von Nonne war bereits vor Monaten von namhaften Sprengstoffexperten zurückgewiesen worden, weil sich in diesen Sprengstoffresten kein TNT befand. Mit einer TNT-Bombe war Alfred Herrhausen Ende November 89 ermordet worden. Die hessischen Grünen haben inzwischen eine Sondersitzung der Parlamentarischen Kontrollkommission beantragt und wollen Strafanzeige erstatten. Ihr Ombudsmann Rupert von Plottnitz: „Den einzigen tauglichen Hinweis, den Nonne offenbar zu geben in der Lage ist, ist der auf das Elend der Sicherheitsorgane der BRD und ihrer Verfolgungsphilosophie.“ Die Bundestagsabgeordnete Ingrid Köppe (Bündnis 90/ Grüne) forderte die umgehende Einrichtung eines parlamentarischen Untersuchungsausschusses in Bonn.
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