: Die RAF entdeckt die soziale Frage
■ Die Rote Armee Fraktion besinnt sich nach dem Scheitern des bewaffneten Kampfes wieder auf Fragen wie Wohnungsnot, sinnentleerte Arbeit und Umweltzerstörung. Sie sucht die offene Diskussion und den...
Die RAF entdeckt die soziale Frage Die Rote Armee Fraktion besinnt sich nach dem Scheitern des bewaffneten Kampfes wieder auf Fragen wie Wohnungsnot, sinnentleerte Arbeit und Umweltzerstörung. Sie sucht die offene Diskussion und den „neuen Aufbruch“ — und den Kontakt zur Basis.
Wir werden demnächst über alles genauer reden“, schrieb die Rote Armee Fraktion (RAF) am 10. April in ihrer spektakulären Erklärung, in der sie nach über 20 Jahren der Anschläge und Attentate den bewaffneten Kampf zur Disposition stellte. Die Waffen sollten schweigen zugunsten eines neuen „Prozesses von Diskussionen und Aufbau einer Gegenmacht von unten“ — die Militanten räumten ein, „wir hatten unsere Politik ganz stark auf Angriffe gegen die Strategien der Imperialisten reduziert, und gefehlt hat die Suche nach unmittelbaren positiven Zielen und danach, wie eine gesellschaftliche Alternative hier und heute schon anfangen kann zu existieren“. Daß dies möglich sei, hätten die Erfahrungen gezeigt, die „andere erkämpft haben“.
Dem Eingeständnis des politischen Scheiterns folgte nur wenige Tage später eine Erklärung der RAF- Gefangenen Irmgard Möller. In ihr wurde im Namen der „Gefangenen aus RAF und Widerstand“ postuliert: „Die Entscheidung unserer Genossen draußen ist richtig.“ Eine Aussage, die bei Teilen des RAF- Umfeldes auf entschiedenen Protest stieß. Unter dem Titel „Der Kampf geht gemeinsam weiter“ veröffentlichte eine Gruppe, die sich selbst als „Teil des Widerstandes in der BRD“ bezeichnete, Ende April ein zweiseitiges Schreiben, in der sie ausschließlich auf alte Konzeptpapiere der RAF zurückgriff und den Dissens zu den Aktiven der RAF in den Vordergrund rückte.
In einem weiteren, ausführlichen Schreiben räumte die gleiche Gruppe vier Wochen später zwar ein, die Entscheidung der RAF als eine, „die sie für sich treffen“, zu akzeptieren— gleichwohl hielten die Widerständler den Genossen aus der RAF entgegen: „In der BRD sind militante Aktionen nicht nur moralisch notwendig, sondern auch politisch sinnvoll!“ Kritisiert wurden nicht die „Angriffe als solche“, kritisiert wurde die fehlende Einbettung der RAF-Aktionen in eine „umfassende Politik“, so daß sie „ihre potentielle politische Wirkung nicht mehr entfalten“ konnten. Den abkehrwilligen RAF-Kadern wurde vorgehalten: „Über die gelungenen Aktionen gegen Herrhausen und Rohwedder haben sich mehr Menschen still und heimlich gefreut, als es die GenossInnen vermuten und die Herrschenden zugeben wollen.“
Alfred Herrhausen, Vorstandsvorsitzender der Deutschen Bank, war am 30. November 1989, Detlev Carsten Rohwedder, Chef der Treuhandanstalt in Berlin, am 1. April 1991 von RAF-Kommandos ermordet worden. Anläßlich des internationalen Gegengipfels zum Treffen der G-7-Staaten in München nutzte die RAF jetzt die Gelegenheit, genauer zu reden und ihren Schritt vom April in einem fünfseitigen Schreiben „transparent zu machen“. Das Schreiben datiert auf den 29. Juni. Es wurde in Hamburg aufgegeben und mit dem RAF-Emblem, einem fünfzackigen Stern mit Maschinenpistole, unterzeichnet.
„Gerade unsere letzte Aktion gegen den Treuhandchef Rohwedder“, heißt es darin in deutlicher Abgrenzung zum „Widerstand“, habe deutlich gemacht: „Wir sind mit unseren Aktionen an eine Grenze gelangt.“ Rückblickend stellen die RAF-Aktiven fest: „Wir konnten damit nicht die Prozesse, die wir für notwendig halten, in Bewegung setzen, noch konnten wir damit die Ohnmacht Vieler und die Resignation vor der Weltmacht des Kapitals durchbrechen.“
Ihren Kritikern halten die RAF- Aktiven entgegen: „Wir wissen, daß daß es GenossInnen gibt, die unsere Entscheidung vom April widersprüchlich finden.“ Keine Frage sei, daß „wir den Widerstand gegen die Machtpolitik Großdeutschlands nach innen und außen für wichtig halten.“ Der jetzt notwendige Prozeß könne auch sicher „nicht nur ein Diskussionsprozeß“ sein. Im Gegensatz zur Gruppe, die sich als Teil des Widerstandes definiert, steht für die RAF aber fest, „daß wir diesen Prozeß heute mit bewaffneten Aktionen nicht voranbringen“.
Im Gegensatz zum Schreiben vom 10. April gehen die Militanten in ihrer neuen Erklärung nicht konkret auf die vom früheren Justizminister Klaus Kinkel (FDP) angeschobene Initiative für eine vorzeitige Haftentlassung einzelner RAF-Gefangener ein. Festgehalten wird allerdings, „daß es für uns ein wesentlicher Bestandteil in dem jetzt notwendigen Aufbau-Prozeß ist, die Freiheit unserer gefangenen GenossInnen zu erkämpfen“. Der von den Hardlinern im Sicherheitsapparat hervorgehobene Satz aus der April-Erklärung, „Wenn sie uns... nicht leben lassen, dann müssen sie wissen, daß ihre Eliten auch nicht leben können“, wird im Juni-Schreiben nicht mehr erneuert. Aus der Sicht der RAF wurde mit dem April-Schreiben „eine lange Phase unserer Geschichte abgeschlossen“. Gewollt werde nun „ein Prozeß von Reflexion und Neubestimmung auf unserer Seite“. Wolfgang Gast
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