MIT GAIDARS STUFENPLAN AUF DU UND DU
: Auf lange Bank geschoben

■ Rußlands Parlament verschiebt Wirtschaftsprogramm

Moskau/Berlin (taz) — Täglich wird Rußland von der ökonomischen Realität eingeholt. Am Wochenende, gerade rechtzeitig zum Gipfeltreffen der reichsten Industrienationen (G-7), mußte der russische Regierungschef kleinlaut eingestehen, daß der russische Schuldenberg in diesem Jahr bereits um weitere vier Milliarden auf nunmehr 74 Milliarden US-Dollar angewachsen sei. Präsident Jelzin erklärte, Rußland sei entschlossen, seinen Verpflichtungen nachzukommen — doch eine Rückzahlung der Auslandschulden sei zur Zeit unmöglich. Und Außenhandelsminister Pjotr Awen fügte hinzu, die Goldreserven in Rußlands Tresoren seien auf 100 Tonnen zusammengeschrumpft — beim Zusammenbruch der UdSSR hatten sie noch 240 Tonnen betragen.

Doch noch gravierender als die letzten Hiobsbotschaften aus Moskau dürfte der Beschluß des russischen Obersten Sowjet sein, sich zunächst mit dem hektisch zusammengestellten Reformprogramm Gaidars nicht befassen zu wollen. Das Drei-Stufen-Paket, das eine Fortsetzung und Vertiefung der Wirtschaftsreformen bis 1995 in die Wege leiten sollte, wurde zum Ende der vergangenen Sitzungswoche in diverse Ausschüsse abgeschoben und steht damit frühestens im Herbst zur Verabschiedung an. Bereits am Donnerstag hatte das russische Parlament gegen den heftigen Protest der Regierung den gegenwärtigen Mehrwertsteuersatz von 28Prozent als zu hoch und sozial unverträglich abgelehnt. Sie forderten, einen deutlich niedrigeren Steuersatz festzusetzen. Die Mehrwertsteuer hatte Präsident Jelzin zum 1.März per Erlaß eingeführt. Regierungschef Gaidar warf den Abgeordneten vor, damit die westliche Reformhilfe zu gefährden und das ohnehin übermäßige Haushaltsdefizit noch zu vergrößern. Eine Senkung des Satzes auf 14Prozent, rechnete er dem Parlament vor, werde das Etatdefizit bis Ende Juli von 60 (Mai) auf 120 Milliarden Rubel hochschrauben.

Nach dem Fehlschlag dürfte Gaidars Hoffnung auf eine „kontrollierte Inflation“ ebenso erst einmal dahin sein wie die Pläne zur weiteren Privatisierung der Wirtschaft. Die Umwandlung der großen Staatsbetriebe in Aktiengesellschaften wird wohl kaum wie geplant bis November abgeschlossen sein. Und ob sich dann ausländische Investoren für die veralteten Betriebe finden lassen, wird selbst von russischen Experten bezweifelt. es