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Jelzin stört die Kreise der Sieben

■ Eigentlich wollten sich die mächtigsten Sieben vor allem der eigenen flauen Konjunktur widmen. Nach den Äußerungen Jelzins zum IWF-Hilfsprogramm vom Wochenende werden sie sich wohl mit der...

Jelzin stört die Kreise der Sieben Eigentlich wollten sich die mächtigsten Sieben vor allem der eigenen flauen Konjunktur widmen. Nach den Äußerungen Jelzins zum IWF-Hilfsprogramm vom Wochenende werden sie sich wohl mit der Finanzierung der Reformen in Rußland befassen müssen.

Wenn sich heute die Regierungschefs der reichsten Industrieländer zum 18. Weltwirtschaftsgipfel treffen, bleibt ein Achtel der Münchner Altstadt — so groß ist die Residenz — abgesperrt. Die Staatschefs von Japan, Deutschland, Frankreich, den USA, Großbritannien, Italien und Kanada wollen sich in diesem Jahr vor allem über die flaue Konjunktur und die gestiegene Arbeitslosigkeit in ihren Ländern beraten. Gleichzeitig werden Initiativen auf einem internationalen Gegengipfel (The Other Economic Summit — TOES) an die Verschuldung der dritten Welt und die Umwelt erinnern — Themen, die 1992 nicht auf der Tagesordnung des Gipfels stehen. Für „internationale Solidarität“ haben am Wochenende außerdem 17.000 TeilnehmerInnen eines Kongresses gegen den Weltwirtschaftsgipfel demonstriert (s. unten).

In den Mittelpunkt des Interesses sind gestern am Tag vor der Eröffnung die Reformen in Rußland gerückt, über die die G-7-Regierungen ursprünglich nur am Rande beraten wollten. Boris Jelzin hatte am Wochenende starke Worte gegen den Internationalen Währungsfonds (IWF) und dessen 24-Milliarden-Dollar- Hilfsprogramm gefunden. Rußland werde sich nicht vom Westen diktieren lassen, wie die Wirtschaftsreformen zu gestalten seien, verkündete der russische Präsident. Am kommenden Mittwoch, nach dem eigentlichen Gipfel, sollte Jelzin ein überzeugendes Konzept seiner Regierung vorlegen; danach wollten die G-7, die als Geldgeberländer über die Stimmenmehrheit im IWF verfügen, grünes Licht für die Auszahlung der Hilfsmilliarden geben.

IWF-Direktor Michel Camdessus hatte bereits auf der Frühjahrstagung des „Fonds“ im April davor gewarnt, größere Geldbeträge nach Moskau zu überweisen, solange die russische Regierung kein nachvollziehbares Reformprogramm vorlegt. Diese Position war ursprünglich auch die der US-Regierung. Doch nachdem Boris Jelzin kürzlich bei seinem Staatsbesuch in Washington einen guten Eindruck hinterlassen hat, ist die US-Regierung nun bereit, einen Teil der Milliarden auch dann auszuzahlen, wenn Rußland die IWF-Auflagen nicht oder nur teilweise erfüllt.

Das wiederum dürfte bei den anderen Gipfelländern auf wenig Gegenliebe stoßen: einen Reformprozeß in Rußland kann derzeit niemand so recht ausmachen. Westliche Beobachter berichten übereinstimmend, daß die Jelzin-Regierung bislang keine Reformen auf den Weg gebracht hat, die diese Bezeichnung verdienten. Die Währungspolitik Rußlands bestehe einzig und allein aus dem Drucken immer neuer Rubelscheine. Die Preisfreigabe habe nur das Preisdiktat von den Behörden zu den Monopolbetrieben verschoben. Eine nennenswerte Privatisierung habe noch nicht begonnen, so die Westexperten. Geldzusagen außerhalb des IWF-Programms wollten daher die Regierungen Deutschlands und Frankreichs lediglich für die Reparatur der GUSländischen Atomreaktoren geben. Dabei wiederum wollen die USA und Japan, die sich in relativ sicherer geographischer Entfernung befinden, nicht mitziehen. Beide Regierungen kritisierten im Vorfeld des Gipfels das Atom-Hilfsprogramm als Subvention für die französische Firma Framatom und die deutsche Siemens- Tochter Kraftwerksunion (KWU).

Auch in anderen Punkten sind sich die G-7-Regierungschefs keinesfalls einig. Zu unterschiedlich sind die nationalen Interessen, deren Abstimmung auf den seit 1975 alljährlich stattfindenden Gipfeltreffen erreicht werden soll. So verlangen die europäischen Gipfelländer von der Bundesrepublik eine Senkung der Leitzinsen, weil ihre Währungen wiederum von der Mark abhängen. Für die Leitzinsen ist allerdings nicht die Bundesregierung, sondern die Bundesbank zuständig. Und angesichts der hohen Staatsverschuldung sehen die Währungshüter derzeit als einzige Möglichkeit, die D-Mark stabil zu halten, in hohen Zinsen.

Während die US-Regierung Anzeichen für einen Aufschwung in ihrem Land sieht, rutscht Japan gerade in jene Rezession, welche die westeuropäischen Länder langsam hinter sich lassen. Wegen der Ungleichzeitigkeit der Konjunkturentwicklung warnte die Bundesregierung bereits im Vorfeld vor zu hohen Erwartungen an den diesjährigen Weltwirtschaftsgipfel und erinnerte daran, daß derartige Treffen schließlich nur als Meinungsaustausch gedacht waren. Wie 1975, als Valerie Giscard d'Estaing und Helmut Schmidt den ersten Gipfel im französischen Schloß Rambouillet planten. Damals ging es — nach dem Ölpreisschock — um die Neukonsolidierung der Wirtschaften in den Industrieländern.

Nach 1982 war das vorrangige G- 7-Ziel, eine Stabilisierung des Weltwährungssystems und „mehr Markt“ zu erreichen. 1989 schließlich gelangten die Entwicklungsländer und die Umwelt, ab 1990 die Sowjetunion und Osteuropa auf die Gipfel-Tagungsordnungen. Aus dem halbprivaten Erfahrungsaustausch ist inzwischen längst das wirtschaftspolitische Medienereignis des Jahres geworden. 1992 werden die sieben Regierungschefs von zusammen 2.000 Delegationsmitarbeitern begleitet; 6.000 JournalistInnen hoffen auf mehr als die bekannten Statements. Wenn aber in dieser Woche nicht das IWF-Hilfsprogramm neu verhandelt wird, dann könnte das Ergebnis nächstes Jahr in der Rückschau genauso lauten wie 1985, als der Weltwirtschaftsgipfel zuletzt in Deutschland stattfand: „Zu diesem Gipfel hatte der deutsche Bundeskanzler Helmut Kohl eingeladen. Nach langen Mühen wurde eine Erklärung für dauerhaftes Wachstum und höhere Beschäftigung vereinbart.“ Donata Riedel, München

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