: „Druckräume sind keine Lösung“
■ Irmgard Gaertner nach hundert Tagen im Bremer Senat über Drogenpolitik
Jetzt ist die letzte der Schonfristen für Senatorinnen und Senatoren abgelaufen: Irmgard Gaertner, Senatorin für Jugend, Gesundheit und Soziales, kam als letztes Regierungsmitglied Anfang April nach Bremen. Ihre 100 Tage Aufwärmzeit ist um. Im taz-Gespräch zieht sie Bilanz.
Die höchsten Wellen schlägt im Moment die Drogenpolitik. Bei der Einwohnerversammlung im Viertel gab es den größten Applaus für drei Forderungen: Druckräume in der ganzen Stadt, Legalisierung und kontrollierte Abgabe von Heroin und die Dezentralisierung. Selbst Klaus Wedemeier sagt, daß man angesichts der Situation verstärkt über Druckräume nachdenken müsse.
Die Drogenproblematik gehört zu den Dingen, für die es keine Patentlösung gibt. So kann ich auch dem Viertel keine Patentlösungen anbieten.Ich habe sehr viel Verständnis, daß die Anwohner im Viertel frustriert und verzweifelt sind angesichts des Elends, das sich da abspielt. Ich habe nicht so sehr viel Verständnis dafür, daß dann solche scheinbaren Patentrezepte wie Druckräume, Freigabe von Heroin oder die Verlagerung des Strichs aus der Friesenstraße irgendwohin, nur weit genug weg aus dem Viertel, so einach aus der Tasche gezogen werden. Wir können bei der derzeitigen Gesetzeslage keine Druckräume in der Bundesrepublik einrichten.
Da sagen Ihnen die Anwohner: Es gibt doch öffentliche Druckräume wie jetzt den Ostertorpark. Wäre es dann nicht ehrlicher, die eigene Ohnmacht anzuerkennen, aber den Junkies die medizinische Betreuung auf die Stadt verteilt anzubieten?
Ich halte die Einrichting öffentlicher Druckräume für keine Lösung des Problems. Dies wäre eine solche Attraktion auch für auswärtige Abhängige, daß wir die nur noch stärker in die Stadt hineinziehen würden. Die Drogenabhängigen in dieser Stadt bräuchten Wohnungen in ausreichender Zahl, und nicht nur Schlafmöglichkeiten, wo sie morgens spätestens um zehn –rausmüssen. Wenn wir dieses Unterkunftsproblem annähernd lösen könnten, dann hätten wir dieses Thema aus der Welt. Deswegen bin ich wahnsinnig auf der Palme, daß es beispielsweise am Achterdieksee nicht möglich sein kann, einigermaßen menschenwürdige Unterkünfte für obdachlose Drogenabhängige hinzustellen.
100 Tage im Amt: Sozial- und Gesundheitssenatorin Irmgard GaertnerFoto: Tristan Vankann
Nochmal zurück zum Ostertorpark: Was könnte Politik für die Anwohner jetzt ganz kurzfristig leisten?
Politik muß das ergänzende Methadonprogramm ganz schnell umsetzen. Politik muß dafür sorgen, daß es zu einer Regionalisierung von Drogenberatung kommt. Und Politik muß dafür sorgen, die Arbeitsbedingungen von den Ärzten zu verbessern, die sich diesem Thema überhaupt stellen.
Die Wohnraumfrage ist einer der Schwerpunkte der Koalitionsvereinbarungen. Wo hakt's da? Liegt das nur an den Anwohnern, wie beim Achterdieksee?
Die Antwort ist ganz einfach. Wir haben viel zu wenig Wohnungen insgesamt. Das heißt, es gibt bei all denen, die Wohnungen suchen, eine ungeheuere Konkurrenz. Asylanten: Wenn die hierher kommen, müssen sie erstmal untergebracht werden. Wir sind inzwischen von der Einzelunterbringung auch zu größeren Einheiten gekommen. Aber wie schwierig es ist, die Asylanten, vor allem wenn sie jung und schwarzhäuzig sind, irgendwo unterzubringen, das kann man ununterbrochen auch in Ihrer Zeitung lesen.
Was passiert denn jetzt am Achterdieksee?
Ich weiß nicht, ob ich mich durchsetzen werde am Achterdieksee, denn die Lobby, die dies verhindern will, ist sehr stark. Es kann sein, daß ich in der Sache mit Pauken und Trompeten untergehe.
hier bitte die
Frau vor den Mikros
Das schließe ich überhaupt nicht aus. Manchmal legt sich dann am Ende der Finanzsenator quer.
Fühlen Sie sich denn vom Finanzsenator unterstützt?
Ich habe im Gegensatz zu anderen Kollegen keine Probleme mit dem Finanzsenator. Vielleicht auch deswegen, weil ich selbst gelernt habe, ökonomisch zu denken. In der Hinsicht liegen wir auf einer Wellenlänge.
Ihr Ressort hat große Einsparungen zu unternehmen. Wie wollen Sie das machen?
Das ist eine Frage, die schwer zu beantworten ist. Die größten Ausgabenblöcke in unserem Haushalt sind gesetzliche Pflichtausgaben. Dies ist inzwischen auch begriffen worden. Ich kann nicht jemanden, der Anspruch auf Sozialhilfe hat, wieder nach Hause schicken. Schwierig wird es darum an den Stellen, wo wir zwar dem Grunde nach gesetzliche Pflichtaufgaben zu erfüllen haben — jedoch in welchem Umfang man sie erfüllt, ist eine Frage des Geldes und der politischen Prioritäten. Hier wird es kompliziert. Dort, wo es sein muß, fahnden wir nach Einsparmöglichkeiten.
Das heißt, einmal mit dem großen Rechen über die nicht festgelegten Regelaufgaben?
Nicht mit dem großen Rechen. Die Aufgabenkritik ist ja auch uns aufgedrückt: Das hat schon die Gebühren in den Kindertagesheimen betroffen, das betrifft noch das Landespflegegeldgesetz, den Behindertenfahrdienst, die Jugendzahnprophylaxe, bestimmte
Arbeitsfelder des Hauptgesundheitsamtes. So brisante Entscheidungen wie beispielsweise das Landespflegegeldgesetz zurückzuschrauben auf das Niveau anderer Bundesländer, ist ein Politikum ersten Ranges. Da werden Leute sich an den Roland binden und an die Rathaustüren und werden protestieren.
Sie haben gesagt, die Dienstleistungszentren könnten erhalten werden, dafür müßte aber die Wohlfahrtsverbände Einsparungen vornehmen. Die wissen aber nicht, wie das gehen soll. Wie paßt das zusammen?
Wir sind mit den Trägern im Gespräch, es wird erhebliche Einsparungen geben. Es gibt Träger, da geht es einfacher, es gibt welche, bei denen das schwieriger ist. Für mich gilt aber der Obersatz: Das Angebot der Dienstleistungszentren soll nicht eingeschränkt werden. Wenn an irgendeiner Stelle das Geld absolut nicht reicht, dann muß man im Haushalt eben umschichten.
Sie sind jetzt hundert Tage im Amt. Stellen Sie sich vor, Sie hätten drei Wünsche für ihr Ressort frei. Was wäre das?
Immer und ununterbrochen: unerwartete Mehreinnahmen im bremischen Haushalt. Ich wünsche mir mehr Verständnis in der Bevölkerung für sozial Schwache und unterprivilegierte Gruppen am Rande der Gesellschaft. Und ich wünsche mir, daß es ohne Karenztag doch noch zu einer Pflegeversicherung kommt. Fragen: Jochen Grabler
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