Mendiburu begrüßt Besetzung der Brücke

■ Bezirksbürgermeister: Statt Autoverkehr sollen U-Bahn und Tram fahren/ Zunächst droht keine Räumung/ Autofahrer raste durch das Hüttendorf

Mitte. Die »Brücken-Ini«, Besetzer der Oberbaumbrücke, brauchen vorerst keine Räumung zu befürchten. Die Bauverwaltung sehe bei der Errichtung des Hüttendorfs »mit Ruhe und Gelassenheit« zu, sagte gestern Sprecherin Petra Reetz. Das Protestdorf werde von der Polizei nur geräumt, wenn dadurch Bauarbeiten behindert würden — frühestens Anfang August. Dennoch kam es gestern zu einem ernsten Zwischenfall.

Nach Darstellung von Augenzeugen und der Polizei habe gegen Mittag ein Autofahrer mit seinem Ford versucht, die Brücke zu überqueren. Als eine Gruppe den Mann am Fahren hindern wollte und aufs Autodach schlug, habe er aufs Gaspedal gedrückt und dabei einen Besetzer so schwer verletzt, daß er im Krankenhaus behandelt werden mußte. Die Hüttendörfler zertrümmerten daraufhin Fensterscheiben und Scheinwerfer des nagelneuen Escorts, zerbeulten Türen und Hauben. Der 33jährige erstattete bei der Polizei Anzeige wegen Sachbeschädigung.

Am Tage waren von den Besetzern etwa zehn Leute vertreten. Offenbar hat die »Brücken-Ini« Schwierigkeiten, Leute zu mobilisieren. Vom Bündnis-Innenstadtring — ein Verbund von etwa fünfzig Bürgerinitiativen — werde die Besetzung zwar »uneingeschränkt« unterstützt, wie Bündnis-Sprecher Johannes Pernkopf mitteilte, zur Zeit seien aber viele Aktivisten in Urlaub. Auch der Friedrichshainer Bezirksbürgermeister Helios Mendiburu zeigte Sympathie für die Besetzer. Wir befragten Mendiburu zu seinen Vorstellungen.

Senat beim Wort nehmen

taz: Herr Mendiburu, wie stehen Sie zu der Forderung der »Brückenbewohner«, über das Bauwerk statt »individuellen Blechs« die Straßenbahn rollen zu lassen?

Helios Mendiburu: Sowohl Bezirksverordnetenversammlung als auch Bezirksamt sind gegen die Vervollständigung des Innenstadtrings. Wir nehmen den Senat beim Wort: Im Bereich des kleinen Hundekopfes sollen 80 Prozent des Verkehrs zu Fuß, mit Rad und öffentlichen Verkehrsmitteln und nur 20 Prozent mit Auto und Lastwagen bewältigt werden. Der Senat muß zu seinen eigenen Aussagen stehen und Farbe bekennen. Für die Oberbaumbrücke kann das nur heißen, daß die U-Bahn- Linie 1 zur Warschauer Straße und die Straßenbahn-Linien 3 und 4 zum Schlesischen Tor verlängert werden müssen. Natürlich muß es auf der Brücke auch Fahrbahnen geben — für Feuerwehr und Krankenwagen.

Was halten Sie von der Überlegung im Abgeordnetenhaus, für die Straßenbahn eine Ersatzbrücke zu bauen?

Schon jetzt ist die Belastung für die Anwohner in der Bersarin- und Warschauer Straße derart unerträglich, daß wir im Bezirksamt ständig Beschwerden bekommen. Der Senat will mit der Oberbaumbrücke eine neue Verkehrsverbindung schaffen, hat bisher aber nicht einmal untersucht, welche Auswirkungen die Öffnung der Brücke für Friedrichshain, Kreuzberg und die Innenstadt hat. Mit dem Versprechen von einer zusätzlichen Brücke soll den Leuten Sand in die Augen gestreut werden. Tatsächlich würde die Brücke nur gebaut, damit der Individualverkehr bevorzugt fahren kann.

Kreuzberg ist Ihrer Meinung. In dem Nachbarbezirk wird aller Voraussicht nach Ihr Parteikollege Peter Strieder Bürgermeister. Werden Sie beide versuchen, im Landesverband der SPD eine Mehrheit gegen die Öffnung der Oberbaumbrücke für den Autoverkehr zu gewinnen?

Je häufiger das Problem zur Sprache kommt, um so mehr Befürworter bekommen wir. Eine Mehrheit wird aber noch ein gewaltiges Stück Arbeit kosten.

Insofern kann die Besetzung der Brückenstraße ja nur in Ihrem Sinn sein.

Solange mit der Aktion politischer Druck ausgeübt wird, ja. Sollte von den Besetzern aber Gewalt ausgehen, werde ich mich distanzieren.

Wann werden Sie sich einen persönlichen Eindruck von der Besetzung verschaffen?

Heute habe ich sehr wenig Zeit. Trotzdem werde ich versuchen, noch heute bei den Besetzern vorbeizugucken. Interview: Dirk Wildt