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Erlkönig küßt echten Arbeiter

Rainer Werner Fassbinders Arbeiterserie „Acht Stunden sind kein Tag“ bei arte  ■ Von Mariam Niroumand

Sollten noch welche rumschwirren von den wackeren Gesellen, die Anfang der Siebziger Betriebsräte wurden und sich Magengeschwüre dabei holten: Hier ist Eure Stunde. Zwischen drei exzellenten Spielfilmen — Petra von Kant, Händler der vier Jahreszeiten und Wildwechsel — half Rainer Werner Fassbinder mal eben einem Genre auf die Sprünge, das sonst im pädagogischen Aus gelandet wäre: Der Arbeiterfilm, kreiert in der Weimarer Republik (Kuhle Wampe, Mutter Krause, Brüder), im Faschismus erledigt durch Hitlerjunge Quex, saß in den sechziger Jahren in der Zwickmühle zwischen dokumentarischem Anspruch einerseits und Agit-Prop-Ideen andererseits. Rote Fahnen sieht man besser, Ich heiße Erwin (!) oder Kalldorf gegen Mannesmann hießen diese Fernsehlehrstücke, die alle richtig und wichtig fanden und die keiner sehen wollte. Man machte sich da — meist aus schwindelnden Höhen — ein Bild vom Arbeiter, das oft genug den düsteren Kreaturen aus Käthe Kollwitz' Zeichnungen glich: animalisch, geknechtet, dumpf, namens Erwin. Oder heldenhaft klassenbewußt wie im sozialistischen Realismus. Ulkige Fabelwesen die einen wie die anderen.

Rainer Werner Fassbinder bürstete, mit der ihm eigenen Geschicklichkeit, das Genre gegen den Strich und verband es mit der Familienserie — worauf die Chancen, daß es von denen gesehen wurde, auf die es ihm ankam, unermeßlich in die Höhe schnellten. Als er zusätzlich noch die Oma Krüger mit Luise Ulrich und ihren Freund Gregor, den sie in einem Park anspricht, mit Werner Rehm besetzte, da hatte er den Publikumserfolg eigentlich schon halb in der Tasche. Er versuchte sich gar nicht erst an der cinéma-verité-Tradition, sondern schrieb einige Geschichten vom Leben, Lieben und Arbeiten, die er von „echten Arbeitern“ gegenlesen ließ, und zwar daraufhin, wie sie ihr Leben dargestellt zu sehen wünschen.

Das merkt man vor allem den Aufnahmen in der Werkhalle an: die Maschinen, die Hebel, Knöpfe, Düsen und Sägen sind keine chromblitzenden Molochs, sondern wirken wie in einer Fachzeitschrift nüchtern, laut, beherrschbar. Jochen tut sich mit Marion zusammen (das Traumpaar der Linken nach Rainer Langhans und Uschi Obermaier: Hanna Schygulla und Gottfried John), aber trotzdem ist nicht alles in Butter; Irmgard Erlkönig, Sekretärin, die das nie von sich gedacht hätte, küßt einen Arbeiter; Meister Kretschmer stirbt an einem Arbeitskonflikt, und Franz Miltenberger macht eine Zusatzausbildung.

Der betriebliche Konflikt ist komplizierter, als man sich das damals in seiner Roten Schülerzeitung so vorgestellt hat: Jochen hat einen Verbesserungsvorschlag gemacht (Fassbinder streicht die Qualifikation der Arbeiter besonders heraus), woraufhin die Firmenleitung eine Zulage als überflüssig betrachtet. Die Arbeiter reagieren mit Sabotage — was Fassbinder den (nicht unberechtigten) Vorwurf der Gewerkschaftsfeindlichkeit eintrug.

Der Regisseur hatte bereits die Drehbücher für drei weitere Folgen in der Tasche, in denen es eben genau um die Auseinandersetzung mit der Gewerkschaft hätte gehen sollen, als Günther Rohrbach, der damalige Chef der Programmgruppe Fernsehspiel beim Westdeutschen Rundfunk, die Serien nach den ersten fünf Teilen „aus dramaturgischen Gründen“ absetzte. Mag schon sein, daß die langen Diskussionen die Aufmerksamkeit der ZuschauerInnen überfordert hätten. Fassbinder dazu: „Was heißt ,dramaturgische Gründe‘? Es gibt so Sachen: Die Monika hätte sich umgebracht, und das Verhältnis von Jochen und Marion wäre halt auf eine Art problematisiert worden, die der Rohrbach nicht mehr wollte.“ Auch seine Haltung zur Gewerkschaft wäre wohl nicht auf Gegenliebe gestoßen... Wie dem auch sei: Man sieht hier eine Serie, die das hat, was Wim Wenders immer mit „menschlichem Erzählrhythmus“ meint.

Acht Stunden sind kein Tag. Fernsehserie in fünf Teilen. Beginn: heute abend auf arte um 20.45, Teil 1 und 2. (Teil 3, 4 und 5 am 12.Juli um 19.15 Uhr).

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