: Propaganda-Rolle rückwärts
■ „Kinder, Kader, Kommandeure. 40 Jahre DDR-Propaganda“. Dokumentation von Kisse/Wesnigk
Arafat mit einem Papierhütchen auf dem Palästinensertuch beim Arm-in-Arm-Geschunkel mit ausgewachsenen Menschen, die ebenfalls Papierhütchen auf den greisen Häuptern tragen: Völkerfreundschaft, in freudloser Fröhlichkeit auf DDR-Tribünen zur Schau gestellt — man möchte wiehern vor Vergnügen.
Massenversammlung der „Freien Deutschen Jugend“. Tausende reißen ihre Arme hoch. Vom Hitlergruß unterscheidet dies nur eins: die rechte Hand wird nicht flach nach oben ausgestreckt, sondern zackig über dem Kopf gesenkt, als wolle sie den Schädel spalten: man möchte die Luft anhalten vor Entsetzen.
Nach Führer-Kult der Stalin- Kult und Kampf gegen „Unerzogenheit, Unordnung und Ungehorsam“
Das ist DDR-Propaganda, wie sie geleibt hat und gelebt von 1949 bis 1989, wie sie vor sich hingedämmert hätte in den Archiven der DEFA — wären nicht die zwei westdeutschen Filmemacher Wolfgang Kissel (Buch/Regie) und C. Cay Wesnigk (Idee/Gesamtherstellungsleitung)darauf verfallen, aus diesem Material eine DDR-Propaganda-Rolle zu montieren, die ohne Kommentar DEFA-Wochenschau-Ausschnitte, Dokumentationen und Schulungsfilme für Lehrer oder Pioniere präsentiert. Wie all diese Collage-„Rollen“ („Aufklärungs-Rolle“ oder „50er Jahre- Werbespot-Rolle“) kann natürlich auch „Kinder, Kader, Kommandeure“ nur assoziativ, nicht analytisch sein. Und lebt, im Rückblick auf das so gründlich gescheiterte „Experiment“, vor allem von seiner so gründlich ungewollten Komik. Weil aber die Autoren dieses Films ganz ohne Spott und Häme sind, ist ihnen ein kabarettistisches Lehrstück über das Wesen der Propaganda, die Lüge, geglückt — und nebenbei ein Dokument der Kontinuität teutonischer Geschichte im sozialistischen Gewand.
Erschütternd ist zu sehen, wie bruchlos in der Propaganda der DDR — dem Staat der „antifaschistisch-demokratischen Ordnung“ — Diktion, Vokabular und Werte des Nationalsozialismus übernommen worden sind: „Wir Pioniere bekämpfen drei Übel“, sagt ein kurzgeschorener, blonder Junge, „Ungezogenheit, Unordnung und Ungehorsam“. Der „Führer“-Kult wird durch den Stalin-Kult ersetzt, und was für Nazis der „Volksfeind“ war, heißt jetzt „Agent“, der sich durchs Unterholz im Wald einschleichen will, den man erspähen und denunzieren muß. Die deutsche Paranoia — von feindlichen Gestalten „infiltriert“ zu werden — sie lebt in der Propaganda fort und bedient sich gern der Kinder: „Die Großen haben's gut. Die dürfen wählen“, seufzen die Jungen Pioniere, und in ihrem gnadenlos kahlrasierten Hinterkopf sitzt schon das Wissen: „Wo die Kapitalisten leben, haben es Kinder schwer.“ Und um das zu belegen, ist man in der DDR auch vor der plumpesten, zum Brüllen komischen Fälschung nicht zurückgeschreckt: „Wir sehen hier Kinderarbeit in Rom“, sagt eine vorwurfsvolle Männerstimme, „dieser kleine Junge muß als Schuhputzer sein Geld verdienen.“ Doch diesem kleinen „Italiener“ ist unverkennbar in der DDR der Kindernacken kahlgeschoren worden, und die herumhastenden „Römer auf der Straße“ laufen in Seppelhosen und tristem DDR-Habit durchs Bild.
„Natürlich. Das hat man damals in Ostberlin gefilmt“, bestätigen die Autoren der Dokumentation beim Interview in der Schauburg. Kissel und Wesnigk sind beide um die dreißig: zwei „Westler“, die mit ihrer Unbekümmertheit etwas ins „Rollen“ brachten, was „Ostler“ so unbekümmert und so ironisch distanziert kaum hätten produzieren können — oder wollen. „Laßt doch diese alten Geschichten sein“, habe man ihnen oft gesagt. Das hat sie, zum Glück, genausowenig abgeschreckt wie die Langwierigkeit und Mühsal der Herstellung des Films, die mitten in den ersten „Abwicklungs“-Erdrutsch hineingeraten ist: Wer heute noch Mitarbeiter war, konnte am nächsten Tag schon unauffindbar sein. Und hätte Wolfgang Kissel nicht schon im Januar 1989 als DAAD-Stipendiat bei der DEFA in Potsdam- Babelsberg Zugang zu den Archiven gehabt und seine Kenntnisse als Arbeitskapital nutzen können — wer weiß, ob diese schrecklich-komische Dokumentation so materialreich geworden wäre. Kissel und Wesnigk arbeiten schon an ihrem nächsten Projekt, diesmal fürs Fernsehen: Sie suchen die damals „Jungen Pioniere“ und wollen sie mit den Propagandafilmen konfrontieren, sie nach ihren Erinnerungen fragen, erfahren, was aus ihrem Leben geworden ist. Bis dahin aber sollte man in die Kinos strömen und sich eineinhalb gräßlich schöne Stunden machen. Sybille Simon-Zülch
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