: Kürzere Bettdecken für Berliner Obdachlose
■ Bezirke sollen 20 Millionen Mark bei der Unterbringung von Wohnungslosen sparen/ Sozialsenatorin will Bezirke stärker in die Pflicht nehmen und den Wucherern unter den Pensionsbesitzern mit einer zentralen Bettenbörse den Garaus machen
Berlin. Auch an den Bettdecken für Obdachlose wird im Zuge des Sparkurses des Berliner Senats herumgeschnitten. 20 Millionen Mark sollen die Bezirke künftig jährlich bei deren Unterbringung einsparen. Etwa 3.000 BerlinerInnen (von geschätzten 10.000 bis 25.000 Obdachlosen) bringen die Sozialämter seit Jahren in den als »Läusepensionen« verschrienen Herbergen unter. Kein Obdachloser wohnt dort gerne; oft ist es dreckig, laut und kalt. Die Skandale häufen sich. Einer Überprüfung hygienischer Verhältnisse halten viele Pensionen nicht stand, die Preise steigen mit dem Bedarf. In Hochkonjunkturzeiten muß das Sozialamt schon mal 60 Mark für eine Nacht im Sechsbettzimmer hinlegen — macht 1.800 Mark im Monat. Eine Einzimmerwohnung oder ein Zimmer im betreuten Wohnheim würde ein Viertel kosten. Doch die Wohlfahrtsverbände reißen sich traditionell nicht um Obdachlosenbetreuung. Mit den Sparmaßnahmen soll nun das System der Unterbringung umgekrempelt werden.
Ab dem kommenden Winter sollen freie Betten in Berlin in einer sogenannten »Bettenbörse« gespeichert werden. »Solange wir keinen Überblick haben, wird ab Freitag nachmittag gefeilscht«, erzählt die Kreuzberger Sozialstadträtin Ingeborg Junge-Reyer (SPD). »Die Betten werden immer teurer, und wir müssen sie nehmen.« Künftig sollen alle vorhandenen Betten von allen Sozialämtern in einem zentralen Computer abrufbar sein. Mit einem großen Kontingent privater Betreiber sollen die Preise gedrückt werden.
Weitere Pläne, Obdachlose billiger unterzubringen, liegen bei Sozialsenatorin Ingrid Stahmer (SPD). Mit Bausenator Wolfgang Nagel (SPD) und Wohnungsbaugesellschaften verhandle sie derzeit über 3.000 Wohnungen, die künftig in einer Art »Feuerwehrfonds« für Wohnungsnotstandsfälle zur Verfügung stehen sollen, sagte sie zur taz. In Schöneberg wurde ein derartiger Fonds bereits vor zwei Jahren errichtet — allerdings mit geringen Kapazitäten und dem Vorwurf ausgesetzt, auch die zuständige Vergabestelle suche sich immer noch die Salonfähigsten und Solventesten unter denen, die auf der Straße sitzen, aus. In Kreuzberg übernimmt seit einigen Jahren das Sozialamt im Falle einer Räumungsandrohung die Mietschulden der Betroffenen, um ihnen einen Verbleib in ihrer Wohnung zu ermöglichen. Obwohl sich die Zahl der Räumungsandrohungen im vergangenen Jahr verdoppelt habe, habe die Zahl der tatsächlichen Räumungen halbiert werden können, so Junge- Reyer.
Stahmer will die Bezirke bei der Unterbringung von Obdachlosen stärker in die Pflicht nehmen. Bereits seit 1989 existiert das sogenannte 1000er Programm — das in bezirkseigenen Räumen und Wohnungen kurzfristig 1.000 Plätze für die vorübergehende Unterbringung Obdachloser schaffen sollte — für 25 Mark pro Nacht plus etwaigen Betreuungskosten für freie Träger. Nach drei Jahren kann von 1.000 Plätzen allerdings noch keine Rede sein. Lediglich Wedding und Charlottenburg haben bisher dem Programm ganze 180 Plätze zugeordnet.
Auch im Hochsommer sind die Pensionen in Berlin ausgebucht. Der Grund: Überwiegend jugoslawische Flüchtlinge sind dort im Moment untergebracht. Wie sich die Lage in der Welt und die Flüchtlingsbewegungen nach Berlin weiterentwickeln, ist nicht absehbar. Doch eins ist sicher. Der nächste Winter kommt bestimmt. jgo
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