: Der Blick aus der Sucht
■ »More« und »Der Spieler«: Zwei frühe Filme von Barbet Schroeder im Eiszeit-Kino
Im Jahr 1969, der Summer of Love war schon lange vorbei, drehte Barbet Schroeder, ehemals Assistent bei Jean-Luc Godard, seinen ersten Film. Die Geschichte von »More« ist schnell erzählt: Ein Mathematikstudent aus Lübeck verliebt sich in Paris in eine Amerikanerin, raucht mit ihr seinen ersten Joint, reist ihr nach Ibiza nach, kommt zum Heroin und stirbt daran. Drogenfilme aus den sechziger Jahren haben gemeinhin zwei unverzichtbare Eigenschaften: zum einen eine wild umherhüpfende Kamera und bunte, psychedelisch wirken wollende Effekte, zum anderen den moralischen Zeigefinger, ob nun ohne oder mit Happy-End.
Beides trifft auf »More« nicht zu. Die Bilder von Nestor Almendros, letztjähriger Oscar-Preisträger für sein Lebenswerk und kürzlich verstorben, sind zwar ästhetisierend, manchmal kitschig, aber enthalten sich aller Experimente. Sie bilden nur ab, wollen manchmal sogar dokumentarisch wirken. Barbet Schroeders Anliegen ist die Darstellung der Sucht, was sie mit den Menschen macht, mit ihren Gefühlen. Dennoch ist der Film nicht dramatisierend, sondern extrem lakonisch geworden und damit »Drugstore Cowboy«, dem besten Drogenfilm neueren Datums, nicht unähnlich.
Der Protagonist durchläuft fast kultisch die Initiationsriten des Hippiekults zur Droge: Einbruch, erster Joint, freie Liebe, Aussteigen, schließlich die Nadel. Im Hintergrund schwingen als Backgroundchor die Orte: Paris und Ibiza, ein arabisches Land, vielleicht Marokko auf einem Bild im Hotelzimmer. Der Soundtrack ist von Pink Floyd, und die Wahl hätte nicht besser sein können, denn deren frühe Musik ist genauso klischeehaftes Abbild eines Lebensgefühls, wie es jeder Film dieser Art notgedrungen sein muß. Denn eigentlich war das Hippiedasein viel zu öde, um verfilmt zu werden. Was ist denn schon passiert? Man verbrachte einen Sommer im Süden, und als das Geld von Papa alle war, zog man wieder nach Hause. Die wenigen, die blieben, wenn sie nicht schon längst mit dem VW-Bus nach Indien weitergezogen waren, gaben — ob nun auf Ibiza oder in Matala auf Kreta — ein erbärmliches Bild ab und pflückten Apfelsinen für Hungerlöhne.
Schroeder interessiert auch nicht das Hippiedasein, das gibt ihm nur die Möglichkeit, seine Studie ohne ablenkende Alltagstöne entwickeln zu können. Er entwirft eine Liebesgeschichte, die einfach so passiert, in die zwei Menschen reinrutschen, so wie sie in die Drogen rutschen, weil sie ihr eigenes Leben nicht wirklich angeht. Aus Sommer, Sonne, Strand und Sex setzt sich dann doch kein vollständiges Dasein zusammen. Und Schroeder ist ein Zyniker. Wenn es um die Auswirkungen der Droge auf das Zusammenleben geht, beobachtet er sehr genau: Schon beim Kennenlernen sehr wortkarg, verstummt die Beziehung immer mehr, wird immer hoffnungsloser, und als der Winter kommt, kommt auch ihr Ende.
Mit diesem ersten Film hatte Schroeder sein Lebensthema gefunden: Süchte beherrschten fortan sein Schaffen. Sucht nach Drogen, Sucht nach Macht (Dokumentarfilm über Idi Amin von 1974), Alkoholsucht (»Barfly« nach einem Drehbuch von Bukowski) und Spielsucht. 1983 entstand »Die Spieler«, in dem Schroeder eine illustre Besetzung zur Verfügung hatte, um die Trostlosigkeit des Lebens in Spielcasinos zu verfilmen. Jacques Dutronc sitzt am Roulette, ist aber ständig pleite. Er tut sich mit dem Falschspieler Kurt Raab zusammen, aber das betrügerisch gewonnene Geld verspielen beide sofort. Dutronc verliebt sich in Bulle Ogier, zusammen spielen sie weiter, nach einem großen Coup kaufen sie ein Schloß, den Traum des Spielers, gehen am Ufer entlang spazieren und kommen zur Anlegestelle. Dort fährt das Boot zum Casino, sie steigen ein, es gibt keinen Ausweg.
Die Sucht ist nur selten schlimmer als das sogenannte echte Leben. Schroeder weiß, daß der Entzug scheitert. Aber die Sucht muß nicht notgedrungen zum Tod führen, sie kann nur: Beide Filme sind Blicke aus der Sucht aufs Leben und nicht umgekehrt, wie bei den meisten Drogenfilmen. Nichtsüchtige tauchen nicht auf, und wenn, dann nur als mindere Bedrohung für die Protagonisten. Die Sucht ist die eigentliche Bedrohung, aber wenn man in ihr zu Hause ist, ist sie eben auch das Zuhause. Die Sucht ist wie ein Mikrokosmos, in dem nicht wesentlich andere Gesetze gelten. Manche gehen drauf, andere überleben. Wie im wahren Leben. Thomas Winkler
More , Luxemburg 1969 (Englisch/ Deutsch mit frz. und holländischen UT), Kamera: Nestor Almendros, mit Mimsy Farmer, Klaus Grünberg, Heinz Engelmann;
Die Spieler , BRD/Frankreich 1983 (DF), Kamera: Robby Müller, mit Jacques Dutronc, Bulle Ogier, Kurt Raab
More von 9. bis 15. Juli um 21.30 Uhr, Die Spieler von 19. bis 22. Juli, jeweils im Eiszeit-Kino, Zeughofstr. 20, HH, 1-36
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen