: Die Kiwi-Republik ist kein Schlaraffenland
■ Neuseeländische Botschaft lädt Deutschlandmüde zum Seminar ein/ Beratungsstellen verzeichnen großen Andrang von Auswanderungswilligen
Berlin. Die Wahl des Veranstaltungsortes hätte kaum exquisiter ausfallen können: Am kommenden Samstag um 15 Uhr lädt die neuseeländische Botschaft im Hotel Excelsior in der Hardenbergstraße zu einem Seminar über Einwanderungspolitik des Landes. Freien Eintritt, so heißt es in der Einladung, hätten »alle ernstlich Interessierten«, die über ein Universitätsstudium beziehungsweise eine qualifizierte Berufsausbildung verfügten, oder Unternehmer und Investoren »mit einem Mindestvermögen von 500.000 Mark«.
Eine solche Veranstaltung, mit der auswanderungswillige Bürger nach Neuseeland geworben werden sollen, ist bislang einmalig in der Geschichte der Bundesrepublik. »Wir haben überhaupt keine Vorstellung, wie viele Menschen kommen werden«, sagte gestern der Immigration Officer der neuseeländischen Botschaft in Bonn, Alan Moran.
Hintergrund der ungewöhnlichen Werbeveranstaltung ist, daß Neuseeland seine Einwanderungsbestimmungen erleichtert hat und im letzten Jahr eine deutliche Zunahme von Anfragen auswanderungswilliger Bundesbürger konstatierte. Bei den meisten Anfragen, so Moran, spiele keineswegs nur der Wunsch nach »einem gehobenen Lebensstil, Sonne, Meer, herrlichen Surfmöglichkeiten und sicherer wirtschaftlicher Situation« eine entscheidene Rolle. Vor allem die zunehmende Umweltverschmutzung und Zerstörung Europas sei bei vielen entscheidend. Denn, so Moran: »Neuseeland bietet sauberes Wasser, reine Luft und intakte Landschaft.« Zudem seien das Klima und die Landschaft der Kiwi-Republik den hiesigen Bedingungen sehr ähnlich. »Vom hügeligen, sattgrünen Allgäu bis zu weißen, unberührten Stränden, vom Gebirge bis zum flachen Land ist für jeden etwas dabei.«
Neben den USA, Kandada und Australien gehört Neuseeland — das so groß ist wie die alte Bundesrepublik und nur dreieinhalb Millionen Einwohner hat — zu den Spitzenreitern auf der Wunschliste der auswanderungswilligen neuen Bundesbürger. Die Mitarbeiterin der Auswanderungsberatungsstelle des Deutschen Rotes Kreuzes in Potsdam, Eugenia Gilge, vermeldete eine große Nachfrage. Auch viele Berliner sprächen dort vor. Die meisten seien junge Handwerker, die »ihre Arbeit verloren haben« oder Angst hätten, diese zu verlieren. Viele hätten jedoch kaum eine Ahnung vom Leben in ihrem Traumland und davon, wie schwierig es sei, die Einwanderungskriterien zu erfüllen. »Die meisten wollen einfach weg und haben überhaupt keine Vorstellung, wohin und was sie dort tun könnten«, hat auch die Mitarbeiterin der Auswanderungsberatungsstelle des Raphael- Werks, Christel Fangmann, bemerkt. Das Raphael-Werk unterhält bundesweit 28 Beratungsstellen, eine davon in Berlin.
Der Gedanke, daß er mit seiner traumhaften Beschreibung der Kiwi- Republik bei den Berlinern vielleicht falsche Illusionen geweckt hat, ist dem Immigration Officer Moran inzwischen offensichtlich auch gekommen. Um zu verhindern, daß dem Hotel Excelsior am kommenden Samstag die Türen eingerannt werden, verwies er gestern vorsorglich darauf, daß Neuseeland eine Arbeitslosigkeit von zehn Prozent habe und es dort »nicht leicht« sei, Arbeit zu finden. Auch wenn es vielleicht den Anschein habe: Die Kiwi-Republik sei kein Schlaraffenland. Vom Staat gebe es keine Hilfe oder Unterstützung: »Jeder muß selbst sehen, wo er bleibt.« plu
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