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Keine Geigen an Leipzigs Himmel

■ No Future, alles wird gut: Abwickler des DDR-Rundfunks zogen Bilanz

Seit Anfang des Jahres sind in der Ostberliner Regattastraße 200 Angestellte (zu 98Prozent aus dem ehemaligen DDR-Rundfunk) damit beschäftigt, den beweglichen Besitz, vom Waschbeckenlager bis zum einmaligen Fundus der „Einrichtung“, dem Fernsehen und Hörfunk der DDR, zu inventarisieren, bewerten, veräußern oder zu entsorgen. Ende des Jahres kommen sie selbst dran, dann soll die NFL liquidiert werden. Geschäftsführer Bernd W. Rieger, Bankkaufmann aus dem schwäbischen Reutlingen, ist ausnahmsweise mal nicht damit beschäftigt, eine Firma aufzubauen, sondern sie abzuschaffen, und er ist voller Zuversicht, dies fristgerecht zum 31.Dezember dieses Jahres erledigt zu haben. Nach dem Ende der Einrichtung wurde die NFL, ebenso wie die NLG (zuständig für Liegenschaften) gegründet. Gesellschafter sind die neuen Länder, die bis auf Berlin ihr Aktiv- und Passivvermögen den Landesrundfunkanstalten, ORB, MDR und NDR, übertragen haben.

Nach einem halben Jahr Abwicklungstätigkeit zogen die Herren der NFL Zwischenbilanz: Alles wird gut. Mit 100 Millionen Mark aus Rundfunkgebühren und Werbeeinnahmen habe man begonnen, und mit einem Liquiditätsvermächtnis von 100 Millionen Mark werde man die Tätigkeit beenden. Auch wenn der Barscheck durch den Verkauf der mobilen Anlage nicht höher als zehn Millionen Mark ausfallen werde. Denn über 90Prozent der Produktionsmittel der Einrichtung haben sich die Anstalten bereits abgeholt.

Mit einem Etat von 67 Millionen Mark finanziert die NFL die Klangkörper, offene Verbindlichkeiten der Einrichtung wie Abfindungen und Honorare sowie „Beräumung und Besorgung aller Anlagen“ wie etwa 60 Gebäude, Kindergärten, Werkstätten, eine Poliklinik und 18 Ferienheime von der Ostsee bis zum Thüringer Wald. Probleme bereitete Rieger noch die Abwicklung von 30 Badewannen, 100 Waschbecken und Tonnen von Kernseife. Neben der Sondermüllentsorgung von MAZ- Bändern, Altölen und Lacken geht es vor allem um die Zukunft der Klangkörper, der sieben Orchester und drei Chöre mit über 600 Mitgliedern, deren Sozialtarifverträge Ende Juli auslaufen. Während beim Fernsehballett die Privatisierung in Form der „MDR Deutsches Fernsehballett GmbH“ mit Beteiligung der Belegschaft gelang, soll das Radio Berlin Tanzorchester vorerst in eine ABM- Gesellschaft überführt werden. Der MDR hat zwei Orchester und einen Chor übernommen, zwei weitere werden bis zur Gründung des nationalen Hörfunks bei DS-Kultur zwischengeparkt. Für zwei Leipziger Orchester sowie für das Rundfunk- Orchester Berlin heißt es jedoch: No Future. Glück haben hingegen 30 Lehrlinge, die ihre Ausbildung zum Nachrichtentechniker in der Hörfunkschule im lauschigen Grünau beenden können, bevor auch diese aufgelöst wird.

Ein Käufer wurde auch für den einmaligen Fundus des DFF gefunden. Die Bielefelder Firma Henders erwarb die wertvolle Requisitensammlung vom Oldtimer, über Kutschen, Watten, Antiquitäten, Kostüme, Porzellan bis zu Plütschtieren. Über den Verkaufspreis will sich Rieger jedoch „ausschweigen“, das habe „man so vereinbart“.

Zurückhaltend zeigt sich Rieger auch, wenn es um die Diebstahlquote bei der Abwicklung der Einrichtung geht. Der Schwund sei „nicht so groß wie vermutet“, meint er treuherzig. Schließlich müsse man berücksichtigen, daß „die Mitarbeiter mit ihrem Arbeitsplatz so eng verwurzelt waren, daß sie ihn gleich mitgenommen haben“. Allerdings nicht, um die Geräte zu Hause ins Bücherregel zu stellen, sondern „um sie an ihrem neuen Arbeitsplatz (zum Beispiel beim ORB) wieder aufzustellen“. Eine Inventur bei den Anstalten stehe an.

Finster sieht es um Adlershof aus. Bis Ende August will Rieger noch warten, sollte sich das Land Berlin bis dahin nicht entschieden haben, das Gelände als Medienstandort zu erhalten, dann wird die NFL die noch vorhandene Produktionstechnik verkaufen. Aus dem Gebäudekomplex des Hörfunk (Nalepastraße), der bis auf einen Stahlschrank ausgeräumt sei, könnte, so Rieger, ein „Behördenzentrum mit kulturellen Ambitionen“ entstehen. mail

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