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Scheck für Jelzin ein politisches Geschenk

■ Was in der 18jährigen Gipfelgeschichte bisher nur Gorbatschow gewährt wurde, konnte jetzt auch Rußlands Präsident Jelzin als Erfolg verbuchen: Er durfte mit den sieben Reichen tafeln. Nun...

Scheck für Jelzin ein politisches Geschenk Was in der 18jährigen Gipfelgeschichte bisher nur Gorbatschow gewährt wurde, konnte jetzt auch Rußlands Präsident Jelzin als Erfolg verbuchen: Er durfte mit den sieben Reichen tafeln. Nun reist er heim — mit der Zusage eines 24-Milliarden-DollarHilfspakets in der Tasche.

Boris Jelzin hat es geschafft. Als erster außenstehender Staatspräsident wurde er von den Regierungschefs der G-7-Staaten USA, Japan, Deutschland, Frankreich, Großbritannien, Italien und Kanada schon während des offiziellen Gipfels eingeladen. Nach dem Ende des Gipfels und den Beratungen der G-7 mit dem russischen Präsidenten betonten Helmut Kohl und Boris Jelzin gestern ihre Partnerschaft. Die G-7 hätten eingesehen, daß der Reformprozeß in Rußland Zeit brauche, sagte Kohl. Selbstverständlich habe jedes Land das Recht, sein Tempo auf diesem Weg selbst zu bestimmen.

Und Jelzin lobte die Deutschen, die wegen ihrer Erfahrungen mit der DDR das größte Verständnis unter den G-7-Staaten für den schwierigen Prozeß in Rußland hätten. „Der Kommunismus ist ein für alle Mal abgeschafft“, rief Jelzin den JournalistInnen auf der gemeinsamen Pressekonferenz mit Kohl zu. Der Reformweg sei unumkehrbar, auch wenn einige Leute, „Überreste der Vergangenheit“, Angst vor einem Putsch verbreiten würden.

Kohl hat seinen neuen Freund Boris (man ist inzwischen beim Vornamen) davon überzeugen können, daß die Schuldenfrage nicht Thema der G-7, sondern aller Gläubigerstaaten gemeinsam sei. Jelzin versicherte, gestern keinerlei Bedingungen auf Schulden-Stundungen gestellt zu haben. „Rußland kehrt nach Europa zurück“, betonten Jelzin und Kohl unisono.

Daß Jelzin bereits am Dienstag mit den G-7 dinieren konnte, dürfte auf die Einladung Helmut Kohls zurückgehen. Der Bundeskanzler hat seine G-7-Kollegen offenbar überzeugen können, daß Jelzin anders behandelt werden sollte als vor einem Jahr in London der sowjetische Präsident Michael Gorbatschow. Gorbatschow war 1991 praktisch als Bittsteller erst nach den offiziellen Beratungen empfangen worden. Der August-Putsch wenige Wochen später, bei dem Gorbatschow sein Amt verlor, wurde hier in München auf dem Gipfel auch mit der Erfolglosigkeit der damaligen Londonreise Gorbatschows in Verbindung gebracht.

Relative Euphorie erscheint voreilig

Bereits vor der gemeinsamen Erklärung der G-7 mit Jelzin bemühten sich die Gipfelteilnehmer sowie der IWF und die Weltbank, alles zu tun, damit die Reise des Russen nur ja nicht vergeblich aussehen würde. In dieses Bild paßt die Freigabe der ersten Kredit-Milliarde aus dem 24-Milliarden-Dollar-Paket, das auf der Frühjahrstagung des IWF im April in Washington verabschiedet worden war. Dazu gehört auch die Formulierung der G-7 in ihrer Abschlußerklärung, die da heißt: „Dies (die Auszahlung der ersten Milliarde, die Red.) wird den Weg für die volle Nutzung des im April angekündigten Unterstützungspakets... ebnen.“ Aus der Weltbank verlautete, daß sehr bald weitere 2,5 Milliarden Dollar an Rußland ausbezahlt werden würden. Und der britische Premier John Major sagte die Freigabe eines Exportkredits über 500 Millionen Dollar zu. Selbst Japans Ministerpräsident Miyazawa unterbreitete einen Lockruf: Auf dem nächsten Gipfel in Tokio könnte man ein zehnjähriges Schuldenmoratorium verabschieden, wenn bis dahin die Südkorilen-Inseln an Japan zurückgegeben seien.

Auch bei der Bedienung der russischen Schulden zeigten sich die G-7- Chefs so kulant, wie kein Entwicklungsland auch nur zu träumen wagte. Zwar verweisen sie unisono darauf, daß für Umschuldungsverhandlungen der „Pariser Club“ aller Gläubigerstaaten zuständig sei. Darüber hinaus signalisierten sie aber überdeutlich, daß sie, die auch in diesem Gremium wichtigsten Staaten, bereit seien, Jelzins Forderung nach einem zweijährigen Aufschub in Paris zum Thema zu machen.

Nach Angaben aus Rußland beträgt die Gesamtauslandsschuld GUS-Lands 78 Milliarden Dollar. Die Hauptschuld sind 59 Milliarden Dollar aus sowjetischer Zeit. Darauf kommen inzwischen Zinsen in Höhe von 13 Milliarden Dollar. Zu addieren sind demnach Verbindlichkeiten von mehr als vier Milliarden Dollar für den Erwerb von Importwaren zwischen 1989 und 1991. Außerdem nahmen andere Organisationen und Banken weitere zwei Milliarden Dollar an Krediten auf. Auf Rußland entfallen 61 Prozent der Gesamtschulden der GUS, für deren Stundung Jelzin Anfang dieser Woche ein Verhandlungsmandat aller GUS-Staaten erhalten hat.

Die relative Euphorie, die in diesen Gipfeltagen unter den G-7-Regierungschefs in bezug auf das neue Stabilisierungsprogramm des russischen Premierministers Gaidar und des IWF-Exekutivdirektors Michel Camdessus herrschte, scheint nicht nur westlichen Wirtschaftsexperten voreilig. Im Vorfeld des Gipfels meldete sich auch ein alter Bekannter der G-7-Staatschefs zu Wort: Grigori Jawlinski, der bei der Jahrestagung des IWF im Oktober in Bangkok zum russischen Wirtschaftsstar avanciert ist und heute das Moskauer Forschungszentrum für Wirtschaft und Politik leitet.

Jawlinski warnte in einem Artikel der Zeitschrift 'Wostok‘ vor zuviel Vertrauen in die russische Regierung. Sie „ändert mit leichter Hand ihre Pläne, nimmt Schachzüge zurück und gibt inner- und außerhalb des Landes Versprechungen ab, die sich bisweilen gegenseitig ausschließen.“ Den G-7-Ländern empfiehlt Jawlinski, zunächst ihre eigenen Strukturen für das Zusammenwirken mit der Region der ehemaligen UdSSR zu ändern und vor allem marktwirtschaftliches Lehrpersonal zu entsenden, das dort Wissen vermittelt. „Es werden Hunderte, ja Tausende von Menschen in den Regierungs- und Parlamentsapparaten benötigt, die sich mit Fragen der wirtschaftlichen und politischen Hilfe für die Region befassen.“ Für sie müßten auch „Zig- und Hunderttausende Ausbildungs- und Praktikantenstellen eingerichtet werden“. Donata Riedel, München

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