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Auf dem Weg nach Berlin-Brandenburg

■ Zwischen den Ländern Berlin und Brandenburg tobt der Streit um eine Fusion — eine taz-Debatte/ Urs Müller-Plantenberg plädiert für eine radikale Veränderung: Nur noch die Innenstadtbezirke sollen die Stadt Berlin bilden, die restlichen Bezirke werden zu kreisfreien Städten

Die Zusammenlegung von Berlin und Brandenburg zu einem Bundesland scheint beschlossene Sache. Und in der Tat läßt sich schwer vorstellen, wie das bisherige Land Brandenburg als umgebender Rand einer wachsenden Metropole eine eigenständige Existenz weiterführen könnte. Auch für die Stadt dürfte eine Konstruktion, die eine einheitliche Planung für den Stadtkern, den Stadtrand, die nähere und die weitere Umgebung möglich macht, im wesentlichen Vorteile haben.

Überhaupt nicht bedacht wurde bisher das Binnenverhältnis, das sich bei einer einfachen Zusammenlegung der beiden bisherigen Bundesländer zwischen der Metropole Berlin und dem neuen Bundesland Brandenburg-Berlin ergeben würde. Diese Konstruktion würde bedeuten, daß die Bundeshauptstadt formal zu einer mediatisierten Provinzstadt würde, die selbst in keinem Verfassungsorgan der Bundesrepublik direkt und unmittelbar vertreten wäre. Das muß an sich noch keine schlimme Sache sein. Andererseits hätte aber diese Provinzstadt mit gut 56 Prozent der Einwohnerinnen und Einwohner und wahrscheinlich gut 80 Prozent der Wirtschaftskraft innerhalb des neuen Bundeslandes ein solches Gewicht, daß die restlichen Städte, Landkreise und Landgemeinden kaum eine Chance hätten, ihre Interessen geltend zu machen. Man muß sich sogar fragen, welche Situation schlimmer wäre: Wenn das neue Bundesland durch die in Berlin herrschenden Interessen gleichgeschaltet würde oder wenn der Versuch gemacht würde, bei unterschiedlichen politischen Konstellationen in Bundesland und Bundeshauptstadt den politischen Willen der Berliner hintanzusetzen. Das Übergewicht Berlins produziert Konfliktsituationen, aus denen es kein Entrinnen gibt, ohne daß sich Gruppen oder Körperschaften erniedrigt oder benachteiligt fühlen.

Das Problem erfährt noch eine Verschärfung dadurch, daß in der Stadt die ehemaligen Bürgerinnen und Bürger des Westens mit knapp 60 Prozent in der Mehrheit sind, im neuen Bundesland aber mit 66 Prozent die ehemaligen Bürgerinnen und Bürger des Ostens. Jeder Versuch einer Majorisierung des gemeinsamen Bundeslandes durch die Stadt Berlin oder der Bundeshauptstadt durch das Land Brandenburg- Berlin könnte leicht als Überheblichkeit des »westlichen« oder »östlichen« Landesteiles interpretiert werden und so die Gegensätze vertiefen.

Für die Berliner Bevölkerung ergibt sich aus der Übernahme der Hauptstadtfunktion noch ein weiteres Problem für die demokratische Selbstbestimmung und die Bürgernähe der Verwaltung. Man wird der Bundesregierung und anderen Bundesorganen nicht das Recht absprechen können, in Planungsangelegenheiten der Bundeshauptstadt ein entscheidendes Wort mitzureden. Daraus ergibt sich für die Stadtbezirke von Berlin, daß sie nicht nur hinnehmen müssen, nunmehr die Bezirke einer mediatisierten Provinzstadt zu sein, sondern daß sie auch noch das zusätzliche Hineinregieren des Bundes in ihre bisherigen, ohnehin beschränkten Planungskompetenzen zu dulden haben. Es wird dann sicher bald Fragen geben, ob die Ebene der Bezirksverwaltungen überhaupt noch Sinn macht. Ein Mehr an Demokratie und Bügernähe ist von dieser Konstruktion daher keineswegs zu erwarten. Die Rathäuser von Schöneberg und Weißensee, von Köpenick und Spandau würden zu Museen kommunaler Selbstverwaltung mit Amtsstuben subalterner Bürokraten.

Wenn schon das Land Brandenburg-Berlin nicht weiter vergrößert werden kann, so muß Berlin verkleinert werden, damit eine Lösung gefunden wird, die den Notwendigkeiten des 21. Jahrhunderts entspricht. Man stelle sich vor, das Territorium der Bundeshauptstadt Berlin würde auf die Bezirke Mitte, Tiergarten, Wedding, Prenzlauer Berg, Friedrichshain und Kreuzberg reduziert und die restlichen 17 Bezirke des ehemaligen Bundeslandes Berlin würden als kreisfreie Städte in das neue Bundesland Brandenburg-Berlin entlassen.

Die unmittelbaren Auswirkungen wären die folgenden:

—Die Bundeshauptstadt Berlin wäre mit über zehn Prozent der Einwohnerinnen und Einwohner des Bundeslandes Brandenburg-Berlin noch immer eine sehr große Stadt, mehr als doppelt so groß wie Bonn mit allen seinen Eingemeindungen der letzten Jahrzehnte und ähnlich groß wie Nürnberg, Hannover oder Bremen.

—In der Bundeshauptstadt Berlin wären die ehemaligen Bürgerinnen und Bürger des Westens und des Ostens annähernd gleich stark vertreten.

—Die Eingriffe des Bundes in die Planung der Bundeshauptstadt würden sich auf das Territorium der Bezirke beschränken, in denen tatsächlich die meisten Regierungs- oder Parlamentsgebäude des Bundes stehen oder gebaut werden sollen.

—Als jeweils einer von sechs Bezirken der Bundeshauptstadt hätte Mitte, Tiergarten, Wedding, Prenzlauer Berg, Friedrichshain und Kreuzberg ein wesentlich stärkeres Wort in Planungsfragen mitzureden, als wenn sie unter 23 relativ wenig betroffenen Bezirken ihr Recht geltend machen wollen.

—Mit der Umwandlung — teilweise Rückverwandlung — der Bezirke Charlottenburg, Wilmersdorf, Spandau, Reinickendorf, Pankow, Weißensee, Lichtenberg, Hohenschönhausen, Marzahn, Hellersdorf, Köpenick, Treptow, Neukölln, Tempelhof, Schöneberg, Steglitz und Zehlendorf in kreisfreie Städte könnten deren Bürgerinnen und Bürger ein erhebliches Maß an kommunaler Selbstverwaltung für sich zurückgewinnen; ein Mehr an Demokratie und an bürgernaher Verwaltung wäre die Folge.

—Dem Land Brandenburg-Berlin stünden nicht mehr ein großer metropolitaner Koloß und eine Vielzahl von fast unbedeutenden Kreisen und Gemeinden gegenüber, sondern eine Bundeshauptstadt von stattlicher Größe und dazu eine größere Zahl selbstbewußter Stadtgemeinden, die auch für Städte und Landkreise des bisherigen Landes Brandenburg noch Raum zum Atmen lassen. Die soziale und politische Heterogenität der Selbstverwaltungskörperschaften ließe sowohl eine politische Polarisierung zwischen Bundesland und Bundeshauptstadt als auch eine Parrallelisierung leichter ertragen.

Es sind vor allem zwei Einwände, die gegen die Lösung vorgebracht werden, ein eher technischer und ein eher geschichtsphilosophischer:

—Die seit 1920 gewachsene enge Verzahnung der bisherigen Berliner Stadtbezirke und die bis zum Mauerabbau 1989 zurückgestaute, nun aber verstärkt einsetzende Ausdehnung Berlins ins Umland machen eher eine Zentralisierung der Verwaltung und eine Vergrößerung des Stadtgebietes erforderlich als das Gegenteil. Dazu kommen die mit der Übernahme der Hauptstadtfunktion noch zusätzlich wachsenden Erfordernisse zentraler Planung in Sachen Verkehr, Energieversorgung, Wohnungsbau und Wirtschaftsplanung.

—Wer den Fortschritt des 20. Jahrhunderts rückgängig machen will, macht sich lächerlich.

Im Kern laufen beide Einwände auf das gleiche hinaus: Zentralisierung ist Fortschritt, und Fortschritt ist nötig. Also ist immer mehr Zentralisierung nötig.

Es lohnt sich, die Entwicklung Berlins zur Metropole der zwanziger, dreißiger und vierziger Jahre zurückzuverfolgen, um den Charakter des Fortschritts zu begreifen. Die vom liberalen Bürgertum beherrschte relativ kleine Hauptstadt des wilhelminischen Reiches und des preußischen Staats war nicht Teil der Provinz Brandenburg, sondern politisch selbständig. Sie hatte wegen der Ausdehnung der städtischen Randgebiete natürlich ein großes Interesse an gemeinsamer Planung mit den Städten und Gemeinden des Umlandes, weswegen auch im Jahre 1911 der »Zweckverband Groß-Berlin« gegründet wurde, der zu weitreichenden gemeinsamen Planungen unter Wahrung der Selbständigkeit aller Beteiligten fähig war. Ohne die von der Kriegswirtschaft des Ersten Weltkrieges aufgezwungenen Vereinheitlichungen wäre es 1920 kaum zur Eingemeindung der Städte und Dörfer gekommen, die dann zusammen mit dem Zentrum das neue Groß-Berlin ausmachten, das erst Denkanstoß für »Metropolis« und »Alexanderplatz«, dann Schauplatz der Olympiade von 1936 und schließlich letztes Schlachtfeld des Zweiten Weltkrieges und Brennpunkt des Kalten Krieges wurde.

Gefragt sind heute statt dessen demokratische Strukturen, die eine starke Beteiligung der Betroffenen und ein bürgernahes Verwaltungshandeln fördern. Ein »Zweckverband Berlin und Umland« ist auf die Dauer in Sachen Verkehr, Energieversorgung, Wohnungsbau und Wirtschaftsplanung in jedem Fall erforderlich. Wenn die 17 äußeren Bezirke des bisherigen Berlins nicht zu Berlin, sondern mit Potsdam, Nauen, Oranienburg, Bernau, Strausberg, Königs Wusterhausen, Zossen und anderen zum Umland zählten und entsprechenden Einfluß hätten, wäre das den Interessen aller Bürgerinnen und Bürger bestimmt dienlicher als die heutige Konstruktion, die gegenüber den Gemeinden des Umlandes nur auf ein Diktat der Metropole hinauslaufen würde.

Wenn die Ausdehnung der Stadtgebiete und die Zentralisierung der Verwaltungen Kennzeichen des Fortschritts sind, warum sind dann Offenbach und Hanau, Rüsselsheim und Eschborn, Kronberg und Oberursel noch nicht längst in Frankfurt eingemeindet? Warum muß das Ruhrgebiet in so vielen einzelnen Stadtgemeinden dahinvegetieren? Warum verschlingt Paris nicht endlich seine Banlieue? Die Regierungen der verschiedensten politischen Richtungen in Hessen, Nordrhein- Westfalen und Frankreich haben nicht im Traum daran gedacht, solche Pläne auch nur zu erwägen. Sie ahnten aber wohl auch, daß ein Flächenstaat das absolute Übergewicht einer kolossalen Metropole nicht vertragen kann. In Brandenburg- Berlin will man das offenbar ausprobieren.

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