: Studenten sitzen auf der Straße
■ Bewohner der Böckhstraße 26 müssen räumen/ Martinswerk zu 98.000 Mark Schadensersatz verurteilt
Berlin. Dreißig Mieter des Hauses in der Böckhstraße 26, überwiegend Studenten und zwei tamilische Familien, sitzen nach einem gestern ergangenen Landgerichtsurteil vermutlich demnächst auf der Straße. Vor 16 Jahren war der Seitenflügel in der Böckhstraße mit sieben einzelnen Wohnungen vom gemeinnützigen Martinswerk e.V. gemietet worden. Als im Jahre 1989 der Hauseigentümer wechselte, wollte der neue die Miete versechsfachen, mit der Begründung, auch wenn das Werk als gemeinnütziger Träger vermiete, handle es sich um einen Gewerbemietvertrag. Das Martinswerk verweigerte die Mieterhöhung. Nachdem das Martinswerk einen Prozeß verloren hatte und vom Gericht als gewerblicher Zwischenmieter angesehen worden war, ließen sich die sieben Parteien einzeln auf Räumung verklagen. In erster Instanz hatte das Amtsgericht Kreuzberg das Räumungsbegehren im März abgewiesen.
In der Zwischenzeit war ein Grundsatzurteil des Bundesverfassungsgerichts für Bauherrenmodelle ergangen, laut dem ein Untermieter, dem eine Wohnung von einem gewerblichen Zwischenmieter vermietet wurde, vollen Kündigungsschutz genießt. Das Amtsgericht erkannte an, daß diese Rechtsauffassung für sämtliche gewerbliche Untermietsverhältnisse, die Wohnmietverhältnisse sind, gelte. Vor einigen Wochen wurde das Martinswerk nun auf Schadensersatz von 98.000 Mark verurteilt — die Differenz zwischen dem alten Mietpreis und dem von dem neuen Eigentümer geforderten. Das Postscheckkonto des Martinswerks mit 40.000 Mark ließ der Eigentümer prompt pfänden. Sollte das Werk pleite machen, stünden insgesamt 200 Leute ohne Mietvertrag da.
Gestern widersprach das Landgericht Berlin der Auffassung des Amtsgerichts Kreuzberg und gab den Räumungsbegehren statt. Möglicherweise wurden mit den beiden Urteilen Präzedenzfälle geschaffen. In zahlreichen Berliner Häusern haben gemeinnützige Vereine oder soziale Träger als gewerbliche Zwischenmieter Wohnungen an sozial schlecht Gestellte vermietet. Weitere Prozesse laufen bereits. jgo
Die Mieter in der Böckhstraße freuen sich über Wohnungsangebote:
Telefon 6931751.
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