: In Bosnien ermordet und verjagt, an deutschen Grenzen abgewiesen
Berlin (taz) — Die Welt schaut auf Sarajevo. 300.000 Einwohner sind eingeschlossen, ohne Strom, Wasser, Nahrung. Doch wie es im übrigen Bosnien aussieht, ist weitgehend unbekannt. Nur langsam sickern apokalyptische Nachrichten durch. In Gorazde, einer von muslimischen Verbänden gehaltenen Stadt, die von serbischen Milizen seit zwei Monaten belagert wird, verhungern nach übereinstimmenden Berichten aus Belgrad und Zagreb täglich über ein Dutzend Menschen. Hungertote werden auch aus Bihac im Nordwesten der unabhängigen Republik gemeldet. Berichte und Gerüchte über Massaker, Massenerschießungen und Konzentrationslager häufen sich. Zu überprüfen sind sie kaum. Journalisten und Hilfsorganisationen wagen sich nur noch höchst selten in die abgelegenen Gebiete.
Die Tragödie auf dem Balkan reizt tatenhungrige Staatsmänner und Militärs. Am Rand der KSZE- Konferenz in Helsinki beschlossen WEU und Nato, das von der UNO gegen Serbien und Montenegro verhängte Embargo militärisch zu überwachen. Eine kleine Flotte von Kriegsschiffen, Luftaufklärern und Kampfhubschraubern wird in Bewegung gesetzt. Der praktische Effekt dürfte gegen Null tendieren. Denn das kriegsstrategisch wichtige Erdöl importiert Rumpfjugoslawien vor allem via Mazedonien oder aus Rumänien über die Donau.
Beide Staaten haben den UNO-Beschluß bisher ignoriert, sei es wegen Devisenmangels oder, im Fall Mazedoniens, um die serbische Minderheit im Land selbst ruhigzuhalten.
Doch die militärische Überwachung des Embargos sehen viele Politiker ohnehin nur als einen ersten Schritt. Geplant wird nun, einen Landkorridor von der adriatischen Küste bis zur bosnischen Hauptstadt zu errichten — ein Vorhaben, das mit tausend militärischen Unwägbarkeiten verbunden ist. Im Zuge der dramatischen Zuspitzung haben deutsche Politiker eine Offensive eingeleitet, die mit der außenpolitischen Selbstbeschränkung aufräumen soll. Es geht um eine neue „weltpolitische Verantwortung“ Deutschlands. Doch sie wird offenbar nur in militärischen Kategorien gedacht. Zwei Millionen Menschen hat der Krieg auf dem Balkan entwurzelt. Aber Deutschland läßt keine Kriegsflüchtlinge herein. Kaum ein Politiker hat in diesen Zeiten den Mut, die Öffnung der Grenzen zu fordern. SEITEN 2 UND 3
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