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Chenjerai Hove: Literatur ist Zuhören

Und die Riesenschlange Krankheit/ schluckt die Kinder/ Büffel Armut/ überrennt die Menschen/ ohnmächtiges Nichtwissen steht/ riesig wie ein Elephant/ derweil die Kriegsherrn/ eng umschlungen in blutiger Umarmung/ einander die Leber fressen...“ — so ein frühes Klagelied des (ugandischen) Dichters Okot p'Bitek1. Unsere politischen Führer sind zu sehr mit der Macht beschäftigt, als daß sie an anderes denken könnten. Für die Menschen und ihre wahre Bestimmung haben sie keine Zeit. Selbst wenn man sich ausdrücklich wehrt, hören die Politiker nicht hin. P'Bitek hat dies alles schon vor Jahren gesagt, aber keiner hat auf ihn gehört. Unserer Integrität wurde weiter Gewalt angetan, so daß es unendlich viel schwerer geworden ist, sie wieder darzustellen.

Seht euch an, was in Europa passiert! Die Stämme dieses Kontinents haben ihre Uhren zurückgestellt auf die Zeiten feudaler Herren und der Kleinstaaterei. Und passiert ist das, weil man vorher, als es galt, sich zu aufgeklärten Menschen zu „entwickeln“, keine Zeit hatte, sich untereinander über die eigenen Dummheiten, über Unterschiede und Gemeinsamkeiten zu verständigen. Jetzt ist der Damm gebrochen — und wer wird überleben?

Was soll der Schriftsteller jetzt tun? Soll er sich nach einem Mäuerchen umsehen, auf dem er sich häuslich niederlassen und weiterschreiben kann unter Absehung dessen, was um ihn herum geschieht? Aber in Afrika ist unser Mäuerchen schon lange zusammengebrochen, und die Realitäten des Lebens klopfen täglich an unsere Türen; sie sind zu grimmig, als daß sie ignoriert werden könnten.

Schreiben heißt denken heißt handeln. Schreiben ist für mich Stärkung des Lebens, das auch ohne die Herren der Gefängnisse und Geheimpolizei genug bedroht ist. Literatur bekräftigt die Stärke der Schwachen und bestätigt die, deren Schweigen uns alle mit seiner Explosion töten könnte, würde es auf ewig ignoriert.

Achebe hat einmal geschrieben, daß Literatur — und Kunst — eine Feier sei. Sie feiert das Leben und den Tod, und sie feiert die Macht des Schweigens, das uns töten könnte, wäre es vollkommen2. Literatur, unser Wort, ist eine Explosion, und diese Explosion ist so gewaltig, daß sie das Gewissen vieler berührt und sie aufweckt zu ihrer Bestimmung.

Als Schriftsteller schreiben wir nicht gegen irgendjemanden oder irgendetwas an. Wir schreiben, um die Einsamkeit der anderen — und unsere eigene — zu besiegen. Dieser Akt ist ein wahrhaftiger Akt der Rekreation unserer Bestimmung, unserer Identität. Denn Massenmedien verwischen unsere Geschichte. Sie sind beschäftigt mit der Ausstrahlung von Bildern, die uns von der unüberwindlichen Macht der Mächtigen überzeugen sollen.

Täten die Schriftsteller es nicht, wer spräche sonst wohl von den ganz normalen Träumen, von den Träumen derer, die nicht einmal einen ruhigen Ort zum Schlafen haben, die kleinen Träume, Traumfragmente, zerbrochenen Träume — Träume, die verlorengehen, weil das Lied derer, die im Schatten der Macht singen, selten gehört wird.

Literatur ist ein Akt des Zuhörens, ein Akt des Zweifels an unserer Existenz, so daß wir eines Tages neue Bilder sehen können, mit neuen Bedeutungen versehen, einem neuen Blick auf unsere Hoffnungen und Ansprüche. Wir suchen nach Bedeutung für das Leben und für den Tod, — und alles erscheint neu, wie der Tanz der Maske (Achebes Bild für die Welt; Anm. d. Ü).

Man fragt mich oft, ob ich viele Leser in meinem eigenen Land hätte. Aber das ist gar nicht wichtig, wichtig ist — für den unsichtbaren Leser und für mich selbst — nur, daß ich schreibe, damit ich überlebe und frei sein kann. Mit dem Schreiben aufzuhören, weil diese Bücher auf dem Markt keinen Profit erzielen, hieße zu sterben, mir die Stimme zu nehmen, die mir das Leben rettet.

Wer schreibt, trifft auf die Monologe der Geschichte und der Macht.

Als Schriftsteller sind wir Chronologen der stummen Geschichte unserer Zeit und suchen „den wahren Namen aller Dinge“, wo immer wir auch sind und zu jeder Zeit.

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