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György Dalos: Ich bin ungebildet

Sicherlich klingt es merkwürdig, ist jedoch eine Tatsache, daß die Unbildung und Ignoranz gegenüber der Dritten Welt bei meinen Landsleuten und den meisten Osteuropäern auf eine Flut von Informationen über diesen Teil der Welt zurückzuführen ist. Was Afrika betrifft, so kannte ich als Schüler Anfang der 60er Jahre selbstverständlich die Namen sämtlicher führenden Persönlichkeiten der Befreiungsbewegungen auf dem schwarzen Kontinent. Kwameh Nkrumah, Modibo Keita, Sekou Toure, Djomo Kenyatta waren fast meine persönlichen Bekannten, waren sie erst einmal in ihren schwarzen Limousinen über die Budapester Kettenbrücke eskortiert worden. Natürlich wußte ich über das Drama in Kongo und über den Märtyrertod des Patrice Lumumba. Afrika war ein fester Bestandteil der offiziellen antiimperialistischen Propaganda. Die neuen afrikanischen Staaten mit ihrem Einparteisystem, die den nichtkapitalistischen Weg zu ihrem Programm erklärten, galten als natürliche Verbündete des osteuropäischen Kommunismus, selbst wenn ihre Führer in der vulgärmarxistischen Argumentation häufig als „kleinbürgerliche Nationalisten“ kritisiert wurden.

Und dennoch blieb Afrika für den Normalbürger abstrakt und fern. Höchstens äußerte man im Flüsterton die Meinung, unsere ökonomischen Schwierigkeiten seien mit der allzu großzügigen Hilfe an diese Länder zu erklären. Frühestens seit dem Bürgerkrieg in Biafra und spätestens seit dem Krieg zwischen Äthiopien und Somalia mußte es jedoch klar werden, daß diese Hilfe größtenteils aus Waffenlieferungen bestand, und zwar gelegentlich an beide kämpfenden Seiten. Hinter der Fassade der lautstarken Solidaritätsbekundungen versteckte sich immer mehr eine zynische Machtpolitik. In diesem Sinne waren die jeweiligen Führungen des Ostblocks an blutigen Massakern und Hungerkatastrophen in Afrika mindestens mitschuldig. Marx-Denkmäler in Addis Abeba und Lenin-Monumente in Harare zeugten nur von der Hemmungslosigkeit der osteuropäischen Machtelite, mit der sie die Politik etwa des Internationalen Währungsfonds mißbrauchten, um Afrika das eigene Modell aufzuzwingen.

Das alles hing mit dem oben erwähnten Weltbild des osteuropäischen Normalbürgers nur indirekt zusammen. Für diesen bestand das Universum aus zwei Teilen: aus dem schönen, freien und reichen Westen und aus dem häßlichen, unfreien und armen Osten. Bei diesem, von den Westmedien mitsuggerierten Dualismus, blieb für andere Vorstellungen kein Platz übrig. Vor allem fiel es schwer, sich ein noch größeres Elend als die Wohnungsmisere in Budapest oder die Schlangen vor Lebensmittelläden in Warschau vorzustellen, zumal es noch eine optische Täuschung gab: Die sichtbaren Vertreter Afrikas, Studentinnen und Studenten an den osteuropäischen Hochschulen, entstammten den privilegierten Schichten in ihren Ländern, besaßen teilweise Westwährung, im damaligen Osten ein Zeichen der Zugehörigkeit an die höchste Kaste. Dies hat schon damals für böses Blut gesorgt, und ich hörte bereits in den 60er Jahren den Schlüsselsatz faschistoider Männerphilosophie: „Die Neger nehmen uns unsere Mädchen weg.“

Ich erinnere mich an ein legal zugängliches Buch, den Roman Die Schönen sind noch nicht geboren von Ayi Kwei Armah, ein atemberaubendes Zeugnis jener fernen Wirklichkeit, den afrikanischen Alltag, der mich in mancher Hinsicht an die osteuropäische Finsternis der 50er Jahre erinnerte. Die Literatur vermittelte mir mehr Authentisches über Afrika, als alle politisch-publizistischen Arbeiten. Und es gab natürlich Nadine Gordimer und Wole Soyinka in ungarischer Sprache. Trotzdem wirkte die riesige Bildungslücke der Gesellschaft und das einseitige Weltbild selbst bei den Intellektuellen stärker als solche spärlichen Kenntnisse.

Vor einem Monat bereiste ein pensionierter General aus dem Sudan die ungarischen Universitätsstädte, um seine jungen Landsleute dazu zu bewegen, sich nach einem ausländerfreundlicheren Studienort umzusehen. Besonders Budapest scheint für die schwarzen Studentinnen und Studenten zunehmend zu einer Hölle zu werden. Die Skinheads, diese Mißgeburten der weißen Rasse, die sehr schnell ihr Vorbild in Hitler gefunden haben, greifen alles Farbige an, egal ob es um einen Kameruner, einen Togolesen oder einen ungarischen Zigeuner geht. Sie bedrohen die Qualität unserer jungen Demokratie. Und obwohl noch keine ungarische Stadt zu der unrühmlichen Bekanntheit eines Hoyerswerda gelangte, können wir diese Möglichkeit nicht ganz ausschließen. Jetzt zeigt sich, wie wenig die ideologisch und blocklogisch begründete Solidarität von vier Jahrzehnten in der Öffentlichkeit etwas bewirkt hat.

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