: Schwarze Prinzen im weißen Ghetto
■ »Black Pearls« — Ein african-american dance-cabaret mit Todd Ford und Rik Maverik
Singen, Tanzen, Liebe, Sex und Religiosität — alle Begriffe haben eines gemeinsam: Wer sich hingebungsvoll in ihre Arme fallen läßt, kann sich bis zu ekstatischen Höhen aufschwingen. Und Ekstase ist auch eines der wichtigsten Verbindungsglieder in der Cabaret- Show von Todd Ford und Rik Maverik (Berlin Play Actors). »Black Pearls« zeigt in kurzen zwei Stunden unterschiedlichste Momente schwarzen Seins, die das weiße Publikum — obwohl quantitativ überlegen — im weißen Ghetto Berlin zu faszinierten Außenseitern werden läßt.
Ein großes Fragezeichen thront auf dem Rahmen der Guckkastenbühne im Foyer des Theaters Zerbrochene Fenster: Es ist Zeit für eine Umfrage, Zeit für die Eingangsfrage. What do you want exactly? — Offensiv geht der Interviewer einer fiktiven Fernsehproduktion an sein Publikum. Nebenher tauscht er mit dem Kameramann die neuesten Klatschgeschichten über Spike Lee und seinen neuen Film aus. Auf zwei Fernsehschirmen sieht man die verschüchterten Gesichter der Zuhörerschaft. Ihre Ratlosigkeit und Unbeholfenheit wird in Großaufnahmen eingefangen. Nicht die schwarze Minderheit im Raum, sondern die Weißen werden zum Objekt der Schaulust.
Dieser Teil der Veranstaltung ist der politischste für den gebürtigen Kalifornier Rik Maverik. Er spiegelt sein Verhältnis zu Berlin wider, seiner jetzigen Heimatstadt, wenn ihn wieder einmal die Leute anstarren »like I'm from Mars«. Sein Patentrezept gegen die aufkommende Frustration (ohne Gewalt oder Drogen einzusetzen): ecstasy, natürlich, ein wirksames Ventil für angestaute Aggressionen.
Vom ersten, politischen Raum geht es deshalb weiter in den zweiten spirituellen: Vor einem ironisch-naturalistischen Gemälde eines schwarzen Gurus mit Blümchenkranz im Haar und einer gewaltigen Erektion zwischen den Beinen tanzt der Neuberliner Todd Ford einen ekstatischen Tanz. Eine Gospel-Predigt folgt: »I escaped la la land / fled across the world to become a servant/ ... / I was a prince living without a pence / I travelled around the world to live in a ghetto / a white ghetto in Europe.«
Die Predigt wird von spontanen »yeahs« und »hallelujahs« unterbrochen, und in Gospelmanier stimmen auch die Zuschauer bald ein. Diese Szene setzt sich aber nicht nur lyrisch mit Rassismus auseinander, sie zeigt nicht nur einem weißen Publikum, was black spirit oder black soul sein kann. Sie ist vielmehr eine fast schon private Auseinandersetzung der beiden Darsteller mit ihren kulturellen Wurzeln, eine Auseinandersetzung zweier Menschen, die sich weder eindeutig als Amerikaner, Europäer noch als Afrikaner fühlen.
Privat bleibt es dann auch im dritten und letzten Raum: dem Raum für Entertainment. Eine Talk-Show wird imaginiert, Anekdötchen über Vater und Mutter und Amerika ausgetauscht, ein special guest tritt auf. Gemeinsam tanzen sich Todd Ford und Rik Maverik durch die Geschichte des modernen schwarz- amerikanischen Tanzes: »bus stop« heißt einer, »washing machine« der geschüttelte nächste. Von seiten des schwarzen Publikums kommen weitere Vorschläge, ein reger Austausch, zuschauerübergreifend, untermalt von Soul- und HipHop-Klängen.
Der Sog hat uns wohl alle ergriffen: ob schwarz oder weiß, ob Teilhaber an der Geschichte oder Außenstehender. It was a strange and fascinating event. Hallelujah! Anja Poschen
Nächste Vorstellungen (in englischer Sprache): heute, 17.-20. und 24.-27. Juli, jeweils 21 Uhr im Theater Zerbrochene Fenster, Schwiebusser Straße.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen