Populistisches Projekt

■ Diestel kann die Bürgerbewegung nicht ersetzen

Populistisches Projekt Diestel kann die Bürgerbewegung nicht ersetzen

Den Menschen Mut machen, ihre Befindlichkeit ernst nehmen und ihre Interessen standhaft verteidigen! Das klingt gut. Über Parteigrenzen hinweg Sachfragen anpacken, Politiker unter Druck setzen und das Volk zu seiner eigenen Lobby entwickeln. Auch das klingt gut. Gregor Gysi und Peter-Michael Diestel haben dafür die Komitees für Gerechtigkeit ins Leben gerufen. Lassen wir es dahingestellt sein, ob der Chef der PDS, die einmal aus der SED hervorging, und der letzte Innenminister der DDR, der sein Scherflein am Zustandekommen des heute so heftig gescholtenen Eingungsvertrages beigetragen hat, personell tatsächlich die erste Wahl für eine „authentische Vertretung der Ost-Interessen“ sind. Jedenfalls stellt sich die Frage, ob mit den Komitees außer der Mobilisierung von Unmut etwas erreicht werden kann. Denn es mangelt der neuen Initiative an jeglicher programmatischen Aussage.

Das Schicksal der Menschen im Osten Deutschlands wird zwar zu Recht mit den Stichworten Deindustrialisierung, Massenarbeitslosigkeit, Wohnungsnot und Beutezüge westdeutscher Profitmaximierer beschrieben. Wege aus der Krise zeigen diese Komitees aber nicht. Die Konzeptionslosigkeit wird statt dessen mit einer scheinbar parteiübergreifenden Allianz für die „Ost-Interessen“ kaschiert. Weil sie keine politischen Handlungsspielräume eröffnen kann, verkommt sie zum reinen Selbstzweck. Die geforderte Auseinandersetzung, die konkrete Entwicklung politischer Lösungsmöglichkeiten unterbleibt. Sie wird ersetzt durch ein ideologisches „Wir sitzen alle in einem Boot“. Dieses Mal ist es ein leckgeschlagenes ostdeutsches Schiff mit einer ostdeutschen Besatzung. Wieder einmal bleibt ungeklärt, wer rudern, wer steuern soll. Bei näherem Hinsehen entpuppt sich die Operation „Gystel“ als populistisches Projekt.

Das politische Nahziel einer Initiative, die die Interessen der Ostdeutschen vertreten will, müßte die Ermutigung der Menschen sein, ihre Interessen selbst in die Hand zu nehmen. Das geschieht, wenn Werftarbeiter ihre Betriebe besetzen oder Mieter die Mieterhöhungen kollektiv verweigern. Komitees für Gerechtigkeit sind dazu nicht nötig. Weniger der Zusammenschluß der Gysis und Diestels ist es, der künftig Abstimmungsniederlagen der ostdeutschen Abgeordneten im Bundestag verhindern wird, als vielmehr der Druck der Bevölkerung auf der Straße. Dieser kann allerdings nur an konkreten Ereignissen entstehen — und nicht in einem Sammelbecken der verschiedenen, schwer durchschaubaren Einzelinteressen der Komitee-Aufrufer. Die neuen Komitees sind, sollten sie sich denn massenhaft bilden, ein deutliches Signal für die Stimmung im Osten — eine Lösung der anstehenden Probleme bringen sie nicht. Sie sind ein Gespenst, das die Bonner Politiker nicht zu schrecken braucht. Wolfgang Gast