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„Wir brauchen keinen Protestverein“

■ Im Leipziger Rathaus reagiert man gereizt auf das Thema „Ostpartei“, PolitikerInnen sehen durch die diffuse außerparlamentarische Konkurrenz ihre Arbeit in Frage gestellt

Hans-Heinrich Deicke, SPD-Abgeordneter in der Leipziger Stadtverordnetenversammlung, erlaubt sich mit angereisten Genossen aus den alten Bundesländern dieser Tage einen besonderen Spaß. Er läßt sie raten, wie viele Mitglieder die SPD, die derzeit den Oberbürgermeister stellt, in der 500.000 Einwohner zählenden Messestadt habe. Die Kommunalpolitiker aus dem Westen wollen ihren Kollegen nicht enttäuschen und schätzen vorsichtig: 15.000 werden es wohl sein. Hans-Heinrich Deicke lacht dann und rückt mit der Wahrheit heraus: Ganze 500 Mitglieder zähle der Ortsverband der SPD, worauf die Genossen regelmäßig „blaß“ werden.

Das Lachen bleibt Deicke dann aber selbst im Halse stecken, wenn er zu seiner Meinung nach der neuen „Ostpartei“ befragt wird. „Kompletter Unsinn“, entfährt es dem sonst eher nüchternen Politiker: „Wenn den Bürgern hier so viel nicht paßt, warum zum Teufel engagieren sie sich nicht in einer Partei. Wir haben vor zwei Jahren doch auch ganz neu angefangen und rackern uns hier ab in der Kommunalpolitik.“

Im Leipziger Rathaus reagiert man gereizt auf die seit Tagen auch die lokalen Schlagzeilen bestimmende „Gystel-Connection“. Kein Fraktionszimmer, wo sich nicht die seitenweise in der 'Leipziger Volkszeitung‘ abgedruckten Leserbriefe stapeln — mit vorrangig zustimmender bis euphorischer Tendenz. Egal ob beim Bündnis '90/Grüne, der SPD, CDU oder auch der PDS: die meisten KommunalpolitikerInnen sind schlicht verärgert über die Sympathiekundgebungen für Gysi, Diestel und Co. und klagen hinter vorgehaltener Hand über den „undankbaren Bürger“. Sie sehen ihre Arbeit in Frage gestellt und fürchten nicht zuletzt eine diffuse außerparlamentarische Konkurrenz. Die Frage, die alle bewegt: Wo sollen die lokalen „Komitees für Gerechtigkeit“ angesiedelt sein und vor allem: Wer macht das?

Mit „billigem Populismus“ schafft man keine Arbeitsplätze

„Allein der Name – Komitee für Gerechtigkeit – ist schon skandalös“, entrüstet sich Susanne Kucharski- Huniat, parlamentarische Geschäftsführerin von Bündnis '90/Grüne. „Das ist wie ein Rückfall in die 50er Jahre der DDR von wegen Völkerfreundschaft...“ Sie erbost vor allem die „Frechheit der Herren Gysi und Diestel“, sich jetzt wieder an die Spitze „einer angeblichen Bewegung“ zu stellen, die dem Volk vorgaukle, etwas verändern zu können. „Wider besseren Wissens“ werde da Politik mit den Gefühlen der Zukurzgekommenen gemacht. „Ich hätte ja Verständnis dafür, wenn dies wirklich eine Bewegung von unten wäre, aber es kommt doch wieder alles von oben.“ Es sei eben „verdammt einfach“, nur Opposition zu sein, anstatt in den bestehenden politischen Strukturen — „für die wir uns nun mal entschieden haben“ — zu gestalten und Verantwortung zu tragen.

In diesem Punkt weiß sie sich einig mit ihrem Kollegen Deicke, der seinem Frust offen Luft macht: „Wir brauchen hier keinen Protestverein, sondern Leute, die sich bei uns engagieren.“ Mit „billigem Populismus“ schaffe man keine neuen Arbeitsplätze, „aber der Gysi sieht wohl seine Felle davonschwimmen“.

Die lokale PDS — mit immerhin verbuchten 6.000 Mitgliedern — betrachtet das Vorpreschen ihres Vorsitzenden denn auch mit gemischten Gefühlen. PDS-Fraktionschef Lothar Tippach ist seit gestern nicht ganz wohl in seiner Parteihaut. „Ich bin jetzt gezwungen, als Parteimitglied dazu eine Auffassung zu haben, eben wenn es jetzt an der Basis Bestrebungen gibt, solche lokalen Komitees zu gründen.“

Dem „Menschen Tippach“ sei dieses „gebündelte Selbstbewußtsein“ sympathisch, wenn auch „politisch nicht umsetzbar“. Bei allem Verständnis, das er für die Unterzeichner des Aufrufes habe, bekennt er ehrlich: „Eine Ostpartei ist unsinnig. Wenn die politische Zielstellung allein das Phänomen ,DDR-Mensch‘ ist, ist mir das zu wenig. Das ist unlautere Nostalgie.“ Er fürchtet gerade auf kommunaler Ebene mehr Schaden als Nutzen für seine angeschlagene Partei. „Das wird uns noch mehr zersplittern. Und wenn die Sache schiefgeht, wird die Enttäuschung bei den Leuten noch größer sein.“ Nana Brink, Leipzig

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