Neues von dem mit den Ohren

Weltwirtschaftsgipfel im Fernsehen: ARD-Chefredakteure beklagen sich über Heinz-Klaus Mertes/ Wo blieben die Bilder vom Polizeikessel?  ■ Aus München Thomas Schuler

Die Totale zeigt Polizisten, die sich auf Demonstranten stürzen. Aus dem Off erzählt eine Stimme: „Schlimmer erwischte es die rund 800 Gegendemonstranten, die versuchten, die Begrüßungszeremonie zu stören. Sie wurden abgedrängt und von der Polizei eingeschlossen. Rund 500 Demonstranten wurden festgenommen, einige wurden von dem sehr harten Polizeieinsatz verletzt.“

Ganze 15 Sekunden in diesem 3:06-Minutenfilmbeitrag hatten die ARD-Tagesthemen am vergangenen Montag dem Polizei-Kessel beim Weltwirtschaftsgipfel gewidmet.

An Moderator Ulrich Wickert und der Redaktion soll es nicht gelegen haben, daß der Beitrag so mäßig ausgefallen war. Tags darauf beschwerten sich die ARD-Chefredakteure bei ihrem BR-Kollegen Heinz- Klaus Mertes, dessen Sender als ortsansässige Anstalt die Berichterstattung für alle in- und ausländischen TV-Stationen übernommen hatte: Völlig unzulänglich sei das Material über diese Polizeiaktion ausgefallen, obwohl nachweislich genügend gedreht worden war, hieß es. Mertes zeigte sich wenig einsichtig, wollte unbedingt den Tagesthemen-Kommentar am Dienstag sprechen. Mit 3:9 unterlag er WDR- Chefredakteur Fritz Pleitgen, nur MDR und SWF hatten sich für Mertes eingesetzt.

Im BR-Rundfunkrat wollte die Grünen-Vertreterin Margarete Bause von Fernsehdirektor Wolf Feller wissen, warum die Gipfelgegner im Programm von ARD und Bayerischem Fernsehen so schlecht weggekommen seien. Feller gab sich locker: „Es ist angemessen berichtet worden“, sagte er. Offensichtlich hatte er Nachfragen erwartet und die betreffenden Zeilen gleich mit in die Sitzung genommen. Die Tagesthemen-Redaktion habe drei Minuten „Chronik des Tages“ bestellt und geliefert bekommen: 20 Sekunden habe man Gipfelgegner und Polizeieinsatz gezeigt.

Feller verlas zudem den Bericht einer Kamerafrau des BR, die bereits am Samstag von sogenannten friedlichen Gipfelgegnern zusammengeschlagen und deren Tonmann abgeohrfeigt worden sei. Man habe darüber in der Chronik auch nicht berichtet, weil man es für einen Einzelfall gehalten habe, sagte Feller.

Selbstkritik beschränkte sich darauf, daß die von der Telekom organisierte Eröffnung des Gipfels „eine dürftige Veranstaltung“ gewesen sei. Beim BR ist man genügsam: Feller reichte es, daß „30 Stunden Signale an ausländische Anstalten gesendet“ und 45 Stationen beliefert wurden, daß Übertragungen „pannenlos“ erfolgten.

Zuvor hatte sich bereits der bayerische Ministerpräsident Max Streibl bei BR-Intendant Albert Scharf beschwert, der Sender habe zu kritisch berichtet und ständig seine Bemerkung von der „bayerischen Art“ der Behandlung von Demonstranten zitiert.

CSU-Landstagsabgeordneter Eugen Freiherr von Redwitz monierte im Rundfunkrat, B5-Reporter Oliver Bendixen habe wie ein Kriegsberichterstatter gearbeitet, im Nachrichtenkanal Bayern5 habe man den Eindruck gewinnen können, der Wirtschaftsgipfel hätte sich vor allem auf den Polizeieinsatz beschränkt.

Der Freiherr stand mit seiner Sicht der Dinge jedoch ziemlich einsam da: Hörfunkdirektor Ernst Emrich rechnete ihm 310 Meldungen, Sendungen und Einzelbeiträge vor: 203 über „den Gipfel im allgemeinen“ und 107 über den Gegengipfel, Demos, Polizeieinsätze und auch Pressekonferenzen des Innenministers und des Polizeipräsidenten, also eine Gesamtdarstellung des Gegengipfels. 2:1, so sei das Verhältnis auch bei B5 gewesen. Über den Inhalt sagt das freilich gar nichts aus.