Clinton hat die Delegierten hinter sich

Parteitag der Demokraten nominiert Präsidentschaftskandidaten/ Straßenaktionen als Begleitmusik  ■ Aus New York Andrea Böhm

Vor 68 Jahren wäre die Sache noch richtig spannend gewesen. Als die Demokraten 1924 ihre Delegierten zum Parteitag in New York zusammentrommelten, wußte keiner, wie am Ende der Präsidentschaftskandidat heißen würde. Der Parteitag dauerte siebzehn Tage. Man brüllte, intrigierte und mauschelte, bis nach 106 Wahlgängen schließlich ein gewisser John Davis aus West Virginia ins Rennen geschickt wurde — erfolglos, wie man heute weiß.

Beim diesjährigen Parteitag der Demokraten, der gestern begann und am Donnerstag endet — wird es eher gesittet zugehen. Bill Clinton steht als Spitzenkandidat nach Abschluß der Vorwahlen längst fest. Al Gore, Senator aus Tennessee und von Clinton für das Amt des Vizepräsidenten vorgeschlagen, hat seine Bestätigung ebenso sicher. Clinton hat die Reihen der Demokraten in den letzten Wochen erfolgreich hinter sich geschlossen und sich — bis auf Kaliforniens Ex-Gouverneur Jerry Brown — auch der Unterstützung seiner ehemaligen Konkurrenten versichert. Spannend ist allenfalls der Auftritt Jesse Jacksons und die Frage, mit wieviel Begeisterung New Yorks Gouverneur Mario Cuomo die Nominierungsrede für Clinton halten wird. Cuomo gilt als exzellenter Redner, seine Wertschätzung für Clinton ist jedoch ziemlich gering. Ihm wird nachgesagt, daß er eigentlich nur einen Mann auf dem Präsidentenstuhl für geeignet hält: sich selbst.

Überraschungen sind eher außerhalb des Tagungsorts im Madison Square Garden zu erwarten. Anläßlich des Parteitages haben sich Tausende von Demonstranten in der Stadt eingefunden. Obdachlose wollen Mahnwachen abhalten, Aids- Aktivisten werden demonstrieren, Alt-Anarchisten sleep-ins in öffentlichen Parks veranstalten. Vor mehreren Kliniken liefern sich seit Tagen militante Abtreibungsgegner Auseinandersetzungen mit Frauengruppen. Die „Women's Action Coalition“ will den Parteitag stören.

Als weitaus bedrohlicher für das Medienspektakel der Demokraten könnte sich jedoch zweierlei erweisen: das ausgesprochen heiße und schwüle Wetter und eine nur mühsam unterdrückte Wut unter den Bewohnern von New Yorks Stadtteil Washington Heights, nachdem dort vor elf Tagen ein Schwarzer von einem weißen Polizisten erschossen worden war. Es kam zu Protestkundgebungen und kleineren Ausschreitungen. Seitdem wird der gesamte Stadtteil durch ein massives Polizeiaufgebot rund um die Uhr in Schach gehalten — ein Belagerungszustand, an dem sich bis zum Ende des Parteitags nichts ändern wird.