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Die Unendlichkeit des Saales

■ »Rot-Peter« — eine Bearbeitung von Kafkas »Bericht an eine Akademie«

Langes Warten inmitten einer zusammengepferchten Menschenmenge umgeben von Schweiß und trübem Lampenschein. Von Zeit zu Zeit öffnet sich die Tür zu einem großen, dunklen Raum, Einlasser mit Taschenlampen führen die nummerierten Zuschauer durch die Finsternis und lassen sie dann allein. Zahlen werden laut ausgerufen, sinnlose Sätze dagegen gesetzt.

Die beängstigend unklare Weite des Theatersaales im Tacheles schafft eine Atmosphäre von Unwirklichkeit und Kälte, Nähe scheint unmöglich. Der Trost von gedämpftem Licht in den Händen einer Frau wird zum Hohn, die Kerzenträgerin schreitet über Puppenkadaver hinweg, ohne zu schaudern, ohne zu sehen. Auf einem steilen Laufsteg, der in die Höhe führt, klettert Rot-Peter, der Affenmensch oder der Menschenaffe: Unter seiner Kleidung blieb das Fell, unter der Hülle des angeblich kultivierten Wesens blieben die Gelüste des Tieres. Die Menschwerdung führte zur Selbstzerstörung, doch eine Umkehr ist unmöglich, Freiheit ebenso: »Nicht die Freiheit, nein, einen Ausweg suchte ich!«

»Rotpeter« ist eine Inszenierung von Byrol Ünel frei nach Franz Kafkas »Bericht an eine Akademie«. Der verwandelte Affe soll schildern, wie er der heutige wurde, den Weg seines Untergangs.

Worte, in endloser Wiederholung, zersetzen Klarheiten, errichten aber gleichzeitig neue Tiefen. Es ist nicht einfach, dem Stück zu folgen, kein roter Faden führt hindurch, doch das wirkt kaum störend, einzelne Szenen sind so ergreifend, daß sie und nicht ein bloßer Inhalt in den Bann ziehen.

Byrol Ünel, der auch der Hauptdarsteller ist, beherrscht mit seiner Sprache die Gefühle der Zuschauer. Der traumhaften Betäubung folgt die Ernüchterung, als das Licht angeht und die schmutzigen Wände eines zwar großen, aber durchaus nicht unendlichen Saales anleuchtet. Irene Brie

»Rot-Peter«, von und mit Byrol Ünel, Tacheles, täglich 22 Uhr, bis 21.7., Oranienburger Straße 53-56

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