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»Das war eine Art Stillhalteabkommen«

■ Ermittlungsverfahren gegen 13 Polizisten in Hohenschönhausen, die Straßenhändlern Zigaretten geklaut haben sollen

Marzahn/Hohenschönhausen. Wohl war der jungen Vietnamesin gestern auf einem Parkplatz in Marzahn nicht in ihrer Haut. Ob sie keine Angst vor Racheakten der Polizei zu haben brauche, fragte sie besorgt, bevor sie von den Machenschaften einiger Polizisten des Abschnitts 74 berichtete. »Ein gutes Jahr lang« sei es in dem Bezirk »gang und gebe« gewesen, daß Polizisten vietnamesischen Händlern die unverzollten Zigaretten oder Bargeld weggenommen hätten, ohne ein Beschlagnahmeprotokoll auszufertigen. Kaum einer der vielen Zigarettenverkaufsstände in der Gegend sei vor den Polizsten sicher gewesen. »In der Regel kamen sie zu zweit oder zu dritt«, erzählt die Vietnamesin weiter. »Wenn wir vor ihnen weggelaufen sind, haben sie uns solange verfolgt, bis wir unsere Zigarettenstangen weggeworfen haben. Dann war sofort Ruhe. Sie haben die Tüten eingesammelt und sind damit weggefahren.«

Oftmals sei es aber auch vorgekommen, daß die Beamten den Händlern die Zigarettenstangen einfach am Verkaufsstand weggenommen hätten, ohne ein Protokoll zu schreiben, erzählte die Frau. Besonders in Erinnerung geblieben ist ihr dabei ein älterer Polizist. »Er kam fast jeden Tag. Einmal hat er mir sogar Gas ins Gesicht gesprüht, damit ich endlich ohne meine Zigaretten weglaufe.« Auch daß die Beamten festgenommenen Vietnamesen im Polizeiwagen das gesamte Bargeld abnahmen und die Händler danach wieder mit den Zigaretten laufen ließen, sei häufig vorgekommen. »Manchmal kassierten sie 200 bis 300 Mark, je nachdem wieviel Geld die Händler bei sich hatten und wie viele Beamte es waren«, so die junge Frau. »Geld war ihnen viel lieber, weil es schwer ist, die großen Tüten mit den Zigaretten gut zu verstecken.« Warum sie und ihre Landsleute keine Anzeige erstattet haben? Über das Gesicht der jungen Vietnamesin huscht ein leises Lächeln. Natürlich hätten alle Händler gewußt, das das Treiben der Beamten nicht rechtens sei. »Aber uns war es lieber, sie nehmen uns die Zigaretten oder das Geld weg, statt daß sie uns registrieren und bei einer Hausdurchsuchung unsere Türen eintreten. Das war eine Art Stillhalteabkommen.«

Die Zeit des Stillhalteabkommens ist seit sechs Wochen vorbei. Am vergangenen Montag berichtete das ARD-Nachrichtenmagazin Panorama, daß in Höhenschönhausen Ende Mai 13 Polizisten vom Funkwagen weg verhaftet wurden. Eine Sonderkommission war ihnen auf die Spur gekommen. Die Polizisten — vier davon sind Wessis — gehören dem Polizeiabschnitt 74 (Hohenschönhausen) an. Die Staatsanwaltschaft ermittelt wegen Strafvereitelung im Amt, Unterschlagung, Bestechlichkeit, Steuerhehlerei und -hinterziehung. Nach Justizsprecher Rautenberg wird von einer Tatzeit zwischen Frühjahr 1991 bis Mai 92 und einer Schadenshöhe von 100.000 Mark ausgegangen. Sämtliche Beschuldigten wurden vom Dienst suspendiert oder entlassen.

Bleibt die Frage, warum den Polizisten nicht eher das Handwerk gelegt wurde. Schließlich war ihr Treiben in Marzahn und Hohenschönhausen lange Zeit »ein offenes Geheimnis«, weiß der Mitarbeiter des Beratungszentrums für Ausländer in der Havemannstraße, Quang Nguyen. Doch als sich die Marzahner Ausländerbeauftragte bei der zuständigen Polizeidirektion darüber beschwerte, so Nguyen, soll der dortige Leiter entgegnet haben: Sie solle ihre Ausländer lieber aufklären, daß es verboten sei, unverzollte Zigaretten zu verkaufen. plu

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