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In der Einsamkeit der Bolero-Welt

■ Über einen Roman der Spanierin Rosa Montero

Welche Geschichte steckt hinter einer Schlagzeile wie „Der mysteriöse Fall der rauchenden Mörderin“?

Das Riesenweib La Bella dringt in die Wohnung ihres ehemaligen Geliebten Antonio ein und zerstört dessen wohlsortierte Habseligkeiten. Im Ringkampf mit ihrem Opfer gelingt es der Tobenden, die Oberhand zu gewinnen. Auf ihm sitzend kommt sie zur Ruhe. Dabei raucht sie ein Päckchen Zigaretten, immer drei auf einmal. Trotz des verzweifelten Befreiungsversuches ist das Schicksal des Opfers schon besiegelt. Kurzerhand nimmt La Bella ihn huckepack und schmeißt den Unglücklichen aus dem Fenster des vierten Stocks auf die Straße.

Wo Polizei und Journaille als Tatmotiv schnell Eifersucht anführen, schaut die Madrider Autorin Rosa Montero hinter die Kulissen und entwickelt Zusammenhänge, logische Rückschlüsse, die so einer Tat vorausgehen.

Wo trifft man Leute wie La Bella und Antonio? Wie führt man sie zusammen? Am besten in einer Bar. Ein Stadtteil von Madrid. Das „Desiré“ ist ein heruntergekommenes Nachtlokal mit ausgeblichenen Plastikpalmen, in das die Besucher nur bei übermäßigem Blasendruck oder auf der Jagd nach dem Telefon kommen. Hier treffen die Protagonisten mehr oder weniger zufällig aufeinander. Da arbeitet La Bella, eine alternde Bolero-Sängerin, die sich mangels Orchester auf einer Rhythmusorgel begleitet. Eine Bolero- Sängerin in einer Welt, in der Boleros nicht mehr in Mode sind. Weder sie noch das Etablissement scheinen eine Zukunft zu haben. Mit diesem Lebensgefühl versammeln sich dort die Gäste. Sie finden sich an dem Ort ein, der die Illusion schafft, wenigstens in der Vergangenheit glücklich gelebt zu haben. So auch Antonio, Bellas Liebhaber aus dörflichen Jugendzeiten, der, weil als Chemiker gescheitert, im „Nationalen Amt für Wiederbearbeitung einmal abgelegter Projekte“ angesichts seiner albernen Tätigkeit vor sich hinvegetiert.

Seiner Trostlosigkeit versucht er mit raffiniert inszenierten Liebesabenteuern zu begegnen, die ihn in den Augen der jeweiligen Erwählten zum Erretter aus ihrem langweiligen Hausfrauendasein werden lassen. Nach gelungenem Auftritt als Mann von Welt kehrt er an den mit Bratkartoffeln gedeckten Tisch seiner Schwester zurück, die, an den ersten Beschwerden des Klimakteriums leidend, ihr Leben an die brüderliche Haushaltsversorgung verschwendet.

„Ich brauche ein Herz, das mich begleitet“, singt La Bella. Boleros werden nicht gesungen, sondern interpretiert. Der musikalischen Verherrlichung von weiblicher Devotheit und patriarchalem Draufgängertum ordnen sich aber nicht nur die Frauen unter. Die Männer, wenn sie diese Texte verfassen, sind im Zugzwang, der propagierten maskulinen Vollkommenheit real zu entsprechen.

Bella liebt Poco und will mit ihm in Kuba, dem El Dorado des Bolero, eine Zukunft gründen. Poco seinerseits will lieber mit der jungen naiven Vanessa dorthin. Als diese ihm von ihrer bevorstehenden Heirat mit Antonio erzählt, schlägt er sie zusammen und begeht danach Selbstmord. Unerfüllte Liebessehnsucht, grausame Desillusionierung, Perspektivlosigkeit und die unendliche Einsamkeit aller Beteiligten schaffen den Handlungsrahmen, in dem Bella, stellvertretend für alle der männlichen Gewalt ausgesetzten Frauen, zur Tat schreitet.

Rosa Montero, Jahrgang 1951, lebt in Madrid. Vor ihrem literarischen Debüt 1977 hat sie schon lange als Journalistin gearbeitet. Für die herausragenden Befragungen zu dem Thema „Frauenemanzipation im postfranquistischen Spanien“ erhielt sie 1978 den internationalen Interviewpreis und 1980 den spanischen Nationalpreis für Journalismus.

In Ich werde dich behandeln wie eine Königin montiert sie verschiedene Erzählperspektiven und fingierte Interviews, in denen die männlichen Protagonisten ihr Verhältnis zu Bella beschreiben. Die Presse steht eindeutig auf der Seite der Männer, deklariert sie als Opfer und verzerrt darüber hinaus das Bild Bellas ins Lächerlich-Monströse. So macht Rosa Montero deutlich, wie der subjektiv-männliche Blick die dominanten Herrschaftsverhältnisse schafft und gleichzeitig aufrechterhält. Neben der subtilen Darstellung ihrer Protagonisten hat die Autorin auch einen brillanten Stadtroman verfaßt.

In Spanien ist Rosa Montero schon längst bekannt. In der Übersetzung von Susanne Ackermann kann sie jetzt auch hier gelesen werden. Andrea Getto

Rosa Montero: „Ich werde dich behandeln wie eine Königin“. Suhrkamp tb, 1992, 209Seiten, 14DM. Auch im Peter Hammer Verlag, 1990, 276Seiten, 34DM.

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