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Ein Gleiswechsel soll die Talfahrt stoppen

■ Das defizitäre Staatsunternehmen Bahn soll nach den Plänen von Verkehrsminister Krause in eine Aktiengesellschaft umgewandelt werden, die nach rein wirtschaftlichen Kriterien operiert...

Ein Gleiswechsel soll die Talfahrt stoppen Das defizitäre Staatsunternehmen Bahn soll nach den Plänen von Verkehrsminister Krause in eine Aktiengesellschaft umgewandelt werden, die nach rein wirtschaftlichen Kriterien operiert. Problem ist nur die Finanzierung der Reform. Denn auch wenn der Bund die Verantwortung los ist, für die Tilgung der Bahnschulden muß der Steuerzahler herhalten.

Die Bahn rast finanziell auf den Abgrund zu: Wenn nichts passiert, stehen Bundes- und Reichsbahn in zehn Jahren mit insgesamt 510 Milliarden Mark in der Kreide. Um die Talfahrt zu stoppen und die Bahn längerfristig auf ein anderes Gleis zu schieben, will Verkehrsminister Günther Krause (CDU) sie von ihren Schulden und „personellen Altlasten“ befreien. Der entschlackte Betrieb soll dann in eine Aktiengesellschaft verwandelt werden, die mit Sonderangeboten neuen Verkehr auf die Schienen lockt und den Auftraggebern verlustreiche Fahrten in Rechnung stellt. Heute will Krause seine Kabinettskollegen von seinem Gesetzentwurf zur „Neuregelung des Eisenbahnwesens des Bundes“ überzeugen. Daß eine Umstrukturierung notwendig und sinnvoll ist, ist dabei unstrittig. Strittig hingegen ist die Finanzierung. Denn die Strukturreform kann zwar die Bahnen von den Schulden und dem personellen Überhang befreien; für den Bundeshaushalt bleiben die Staatsdiener indessen keineswegs auf der Strecke.

Finanzminister Theo Waigel (CDU) hat in seinen Haushaltsplänen nicht eine einzige Mark zur Entschuldung der Bahn veranschlagt und ließ seinen Sprecher vermelden: „Die Bahnreform muß außerhalb des Haushalts geleistet werden.“ Eine von Waigel ins Gespräch gebrachte Erhöhung der Mineralölsteuer um 10 Pfennig pro Liter brächte immerhin vier Milliarden Mark plus rund 400 Millionen an Mehrwertsteuern in die Bonner Steuerkasse. Die ist bekanntlich leer, weshalb es keineswegs gesichert scheint, daß die neuen Einnahmen tatsächlich der Bahn zugute kommen. Für die Tilgung der Bahnschulden aber würde auch die Benzinsteuer längst nicht ausreichen: dafür sind zunächst 13,7 Mrd. Mark jährlich notwendig, wenn die letzte Rate in 25 Jahren bezahlt sein soll. Und auch die von Krause zunächst nur für LKWs vorgeschlagene Straßenbenutzungsgebühr bringt lediglich 300 Mio. ein; richtig lohnend wird es erst, wenn auch die PKW-Besitzer ab 1996 eine Vignette für 200 bis 400 Mark kaufen müssen.

Wenn Minister Krause seinen Ministerkollegen die Zustimmung zu seinem Vorschlag abringt, wäre er sogleich die Verantwortung für die Finanzierung los — denn Steuern eintreiben kann ja nur der Finanzminister. Zentraler Punkt des Vorschlags ist, die Bahn als Behörde aufzulösen und ihr die Möglichkeit zu geben, wirtschaftlich zu arbeiten. Nach Krauses Vorstellungen winken dann sogar schon in zehn Jahren 4,8 Milliarden Mark Gewinne.

Zunächst sollen Reichs- und Bundesbahn zum „Bundeseisenbahnvermögen“ zusammengeschlossen, sodann zwei Bereiche mit eigener Wirtschafts- und Rechnungsführung gegründet werden. Während der unternehmerische Bereich als „Deutsche Bahn Aktiengesellschft“ (DBAG) gewinnorientiert Züge betreiben und die Schienen meistbietend vermieten soll, ist der vom Bund zu finanzierende Verwaltungsbereich „Bundeseisenbahnvermögen“ das arme Aschenputtel: Diese Institution muß alle Schulden und die Verwaltung des Personalstamms übernehmen. Die Aktiengesellschaft kann sich Personal beim Bundeseisenbahnvermögen ausleihen, darf sich aber ebensogut auf dem freien Markt nach Personal umschauen. Beim Startschuß liegen sowohl DBAG als auch Bundeseisenbahnvermögen in der Hand des Bundes. Aber die AG kann auch Fremdkapital akquirieren und Subgesellschaften gründen. Problematisch daran ist, daß auch die Schienen künftig nach rein wirtschaftlichen Kriterien vergeben würden; schon heute ist absehbar, daß Nahverkehrszüge von lukrativeren Schnellzügen oder dem just in time- Güterverkehr verdrängt werden.

Dafür aber will das Verkehrsministerium künftig nicht mehr zuständig und verantwortlich sein. Rückendeckung bekommt Minister Krause von seiten der EG: Eine EG-Richtlinie schreibt vor, daß der Regionalverkehr eigentlich seit Juli dieses Jahres regional organisiert und finanziert sein muß; letzte Woche hat der Bundesrat eine Aufschiebung bis Ende 1994 beschlossen. Denn wieder ist die Finanzierung nicht klar: Acht Milliarden Mark fordern allein die alten Länder vom Bund, um den nur defizitär zu betreibenden Nahverkehr aufrechtzuerhalten. Krause hat in §20 seines Gesetzesvorschlags die Höhe des Finanzausgleichs an die Länder noch offengelassen; auf jeden Fall will er einen festen Betrag einsetzen, so daß die Kommunen für normale jährliche Kostensteigerungen aufkommen oder vor ihren Wählern die Einstellung der Züge verantworten müßten.

Der zweite Haken ist, daß das Geld zwar zweckgebunden für den Nahverkehr eingesetzt werden soll, aber die Förderung zugleich an die Bedingung geknüpft ist, daß die „Verkehrsbedienung ... nicht wirtschaftlicher durch ein anderes Verkehrsmittel gewährleistet werden kann“. Es besteht also die Gefahr, daß statt Zügen langsamere Busse eingesetzt werden, weil für die Straßen im Gegensatz zu den Schienen nicht bezahlt werden muß.

An dem künftigen Desaster des Regionalverkehrs sind die Länder nicht unbeteiligt. Denn bisher folgten ihren Ankündigungen, Mindeststandards für den Nahverkehr gesetzlich zu verankern, noch in keinem Bundesland konkrete Schritte. Aber nur wenn Mindeststandards des Regionalverkehrs, etwa die garantierte Beförderung in der Hauptverkehrszeit, gesetzlich verankert wären, könnte die Umstrukturierung der Bahn verkehrspolitisch sinnvoll sein und nicht notwendig zu einem Kahlschlag bei den Regionalzügen führen. Annette Jensen

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