: Studien zu Quecksilberbelastungen in Amalgam-Füllungen: Schadstoffquelle im Mund
Schadstoffquelle im Mund
Hannover (taz) — Haben Sie ein halbes Dutzend Amalgamfüllungen in den Backenzähnen und knirschen auch Sie vor lauter Streß nachts mit ihren Kauwerkzeugen? Dann können Sie gefährdet sein. Sind Sie zudem auch noch selbst Zahnärztin und ist ihre Sprechstundenhilfe nicht allzu ordentlich? Dann sollten Sie schleunigst etwas tun, um ihre Gesundheit vor weiterem giftigen Quecksilber zu schützen. Für die Belastung der bundesdeutschen Durchschnittsbevölkerung mit (anorganischem) Quecksilber sind zumindest zur Hälfte Zahnfüllungen aus Amalgam verantwortlich. Dies ist das Ergebnis zweier Studien, in denen das niedersächsische Sozialministerium die Erkenntnisse von 1.500 wissenschaftlichen Arbeiten zum Thema Quecksilberbelastung durch Zahnfüllungen hat zusammentragen lassen. Die Legierungen, mit denen bisher kariöse Zähne repariert werden, will Landessozialminister Walter Hiller daher „so schnell wie möglich durch gleichwertige und bezahlbare Ersatzwerkstoffe abgelöst“ sehen.
5 Mikrogramm des giftigen Schwermetalls Quecksilber enthält im Durchschnitt ein Liter Blut eines Bundesbürgers. Erst ab einer Konzentration von 50 Mikrogramm, also dem zehnfachen des Durchschnittswertes, seien erste physiologische Veränderungen feststellbar und damit Gesundheitsschäden zu befürchten. So verteidigte gestern zumindest einer der beiden Gutachter des Sozialministeriums, der Göttinger Zahnarzt und Physiker Heiko Visser, die Therapie mit Amalgamfüllungen. Zumindest im Backenzahnbereich ist Quecksilber für ihn zur Zeit noch nicht ersetzbar. Vom teuren Gold abgesehen hielten diese Stoffe den starken Belastungen beim Kauen auf Dauer nicht stand.
Für seine Guachterkollegin Petra Günther, Biologin vom Bielefelder Umweltinstitut, liegen der 50-Mikrogramm-Grenzwert und die durchschnittliche Belastung von 5 Mikrogramm allerdings „schon bedenklich nahe beieinander“, zumal die individuelle Quecksilberbelastung via Amalgamfüllungen erheblich schwankt. So hängt die Belastung einmal schlicht von der Zahl der Füllungen ab, erhöht sich durch Abrieb, der durch Zähneknirschen oder durch Kaugummikauen verursacht werden kann. Freigesetzt werden kann der schädliche Inhalt der Füllungen aber auch durch heiße und saure Speisen und „intensives Zähneputzen“. Grundsätzlich vermeiden sollte man Amalgamfüllungen nach Ansicht von Petra Günther bei Kindern unter sechs Jahren, bei Schwangeren, bei Patienten mit eingeschränkter Nierenfunktion und natürlich bei dem Verdacht einer Quecksilberallergie. Die niedersächsische Umweltministerin Monika Griefahn hatte vor einiger Zeit für ein sofortiges Verbot jener Zahnfüllungen plädiert. Ihr Kabinettskollege Walter Hiller will nun die Sozialministerkonferenz dazu bewegen, ein Amalgamverbot binnen fünf Jahren zu vereinbaren. Jürgen Voges
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