DOKUMENTATION: Auf der Suche nach Antworten
■ Auch in den USA sind die Parteien in einer schweren Krise
Die Krise des Parteiensystems begann schon vor dem High-Tech-Zeitalter, aber der Aufstieg der elektronischen Technik hat diesen Niedergang verstärkt. Eine der letzten Funktionen, die den präelektronischen Parteien geblieben war, sollte die Verbindung zwischen Wählern und ihren gewählten Repräsentanten sichern. Wenn aber heute Politiker wissen wollen, wie die WählerInnen fühlen, schauen sie auf Umfragen. Und wenn WählerInnen entscheiden wollen, wen sie unterstützen, schauen sie auf einen kleinen Bildschirm und machen sich so ihre Gedanken.
Das elektronische Zeitalter gibt einfachen Menschen ein ganz neues Gespür für ihr Anrecht im politischen Prozeß. Es nährt die Erwartungen, daß Präsidentschaftskandidaten vertraute Gesichter und keine Fremden oder politischen Unbekannten sind. Einfache Bürger wählen sich ihre Favoriten lange vor den jeweiligen Parteikonventen aus. Letztlich ist die Herausforderung für das Parteiensystem — man möge mir den Begriff verzeihen — intellektueller Natur. Vieles aus der derzeitigen Revolte gegen die Parteien erwächst der Befürchtung, daß auch Politiker verwirrt sind und intellektuell impotent erscheinen angesichts der Langzeitkrise unserer Zeit — daß sie weder Ursachen noch Lösungen kennen und in einer verzweifelten Attitüde entweder die Katastrophe negieren oder zu improvisieren suchen.
Diese Angst wird nicht mit strukturellen Reformen im politischen Prozeß selbst behoben, sondern nur, indem wir Amerikaner uns analytisch befähigen, anders über unsere Probleme zu reflektieren. Vor einem Jahrhundert schrieb Woodrow Wilson: „Amerika schlendert mit ungeahnter Nonchalance durch seine Reichtümer und den Irrgarten seiner Politik. Aber es wird eine Zeit kommen, wo es erstaunt feststellen wird, wie alt es geworden ist — ein überfülltes Land, perplex, überanstrengt... und dann wird es sich zusammennehmen müssen, eine neue Regierungsart finden müssen, mit den Reichtümern haushalten, sich auf die eigene Stärke konzentrieren, seinen Besten vertrauen müssen, nicht dem Durchschnitt. Das wird die Zeit des Wandels sein.“ Es liegt an uns. Arthur Schlesinger Jr.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen