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Sogar die Selbstverwaltung funktioniert an der Trave

■ Werkhof Lübeck: Das Kultur- und Veranstaltungszentrum hat sich bewährt / Ein Modellprojekt nicht nur für Schleswig-Holstein

/ Ein Modellprojekt nicht nur für Schleswig-Holstein

„Wir haben ein Defizit in dieser Stadt gefüllt“, konstatiert Jörg Niemeyer trocken. Und doch ist aus seinen Worten ein gewisser Stolz auf das Erreichte herauszuhören. Jörg Niemeyer ist Koordinator im Werkhof Lübeck, einer Einrichtung, die nach eigenem Anspruch „mehr als ein Kultur- und Veranstaltungszentrum“ sein will.

14 selbstverwaltete Projekte und Betriebe „ohne Angestellte“ bilden die Projektgemeinschaft des ersten Werkhofs im nördlichsten Bundesland. Öko- und Naturwarenläden, Fahrradgeschäft und Mitfahrzentrale, Rucksack-Hotel und vegetarisches Bistro, die Frauen- und Mädchen-Beratungsstelle BIFF e.V., ein Energie-Beratungsbüro und andere

1sind dort untergebracht. Sie sind die Stützen des Gesamt-Projekts.

Die Entscheidungen fallen auf den regelmäßigen Plenen nach dem Konsensprinzip. Die Ansprüche an Selbstverwaltung und Basisdemokratie werden hochgehalten. „Es funktioniert“, so Jörg Niemeyer, obwohl es zum Beispiel keine Geschäftsführung gibt: „Das läuft über die Plenen und in ehrenamtlicher Arbeit, und es läuft gut.“

In zwei Etagen flankieren die Läden, Büros und Werkstätten den zentralen Veranstaltungsraum, in dem regelmäßig Kabarett, Musik und Theater stattfindet. Alma Hoppe, Boogie-Queen Katie Webster oder Nicaraguas Star-Sänger Luis Enrique Godoy widerlegen das Klischee vieler Hamburger, daß nördlich der Elbe tiefste Kulturprovinz herrsche. Mit rund 200 Leuten im Schnitt ist die Halle in der Regel zu mehr als die Hälfte besetzt. Aus den Veranstaltungseinnahmen und den Mieten, die die 14 Projekte für ihre Räume zahlen, werden die laufenden Kosten gedeckt.

Vor acht Monaten, am 15. November 1991, wurde der Werkhof nach einer Vorlaufzeit von gut drei Jahren eröffnet. Inzwischen ist er auch bei der nicht-alternativen Mehrheit der Lübecker Bevölkerung wohl gelitten. Die Regierenden in der einstigen „Königin der Hanse“ liebäugeln sogar damit, im nächsten Jahr einige hochoffizielle Veranstaltungen zum 850jährigen

1Bestehen der Stadt im Werkhof stattfinden zu lassen.

Der Trägerverein, im Dezember 1988 von etwa 70 Mitgliedern gegründet, kaufte im März 1990 die 1200 Quadratmeter große Halle im Sanierungsgebiet in der Nähe des historischen Burgtors. Unterstützung gab es vom Stadtplanungs- und vom Kulturamt der Hansestadt; über Eigenkapital, Anteilsscheine und Darlehen von Sympathisanten sowie durch Bankkredite wurden der Kauf und die erforderlichen Einbauten gesichert. Denn behindertenfreundliche Einrichtungen wie Rampe, Klo und Fahrstuhl sind ebenso selbstverständlich wie energiesparende Isolierungen und Dämmungen.

Die regenerative Energieversorgung des Werkhofs wird über ein eigenes Blockheizkraftwerk und die Nutzung der Sonnenenergie sichergestellt. Einen Zuschuß von 20000 Mark für diese Investitionen bewilligte das Kieler Energieministerium, die restlichen mehr als 100000 Mark mußte die Werkhof-Gemeinschaft selbst aufbringen. Speziell dafür wurde ein „Sparbuch-Modell“ entwickelt, das privaten Anlegern bis zu acht Prozent Zinsen für Darlehen oder den Kauf von Anteilen bietet. Ein Modell, das, so Jörg Niemeyer, „sich für beide Seiten rechnet und bereits recht erfolgreich ist“. Obwohl natürlich, so fügt er lächelnd hinzu, „gegen weitere Anteilszeichner nichts einzuwenden ist“.

Sven-Michael Veit

Werkhof Lübeck, Kanalstraße 70, 2400 Lübeck, 0451/75718

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