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Zufällige Ähnlichkeiten

Über die Ausstellung „Edward Hopper und die Fotografie“ in Essen  ■ Von Ulf Erdmann Ziegler

Die besten Ideen sind die, die im nachhinein alle gehabt haben wollen. Mit einem Spiegel einen Saal verdoppeln. Den Automotor von hinten nach vorn legen. Ein Gedicht ohne Reim schreiben. Eine Ausstellung machen zur Geschichte von Ausstellungen.

Oder: Edward Hopper und die Fotografie. Hopper, der amerikanische Maler, mit seinen aufgeräumten Bildern scharf beschnittener Szenen auf dem Lande oder in der Stadt, schwer zu datieren, dreißiger oder fünfziger Jahre? Sowohl als auch. Und die amerikanische Fotografie, die nicht hadert mit Gittern und deren Schatten, die sich nicht verstrickt in die ehrgeizige Frage um die Abgründe des Erkennens (wie die europäische Fotografie von Moholy-Nagy bis Kertesz, wetteifernd mit Kubismus und Surrealismus in der Malerei). Hopper und die Fotografie: der Positivismus als offenes Feld für heitere Grübeleien und ernste Aussichten.

Fotografie/Malerei: In Gruppenausstellungen ist jetzt häufig zu beobachten, wie große, gerahmte Fotografien (etwa die von Cindy Sherman) im Vergleich gemalte Bilder müde und überlebt aussehen lassen. So war die spannendste Frage, wie in der Ausstellung über einen Maler Fotografien darstellbar sind, die mit völlig anderen Formaten arbeiten, von Kleiner-als-Postkarte (Paul Outerbridge) bis zur Größe eines aufgeschlagenen Bildbands (Joel Meyerowitz und Stephen Shore).

Antwort: In dem hohen, quadratischen Raum im ersten Stockwerk des Folkwangmuseums hängen die Hopper-Gemälde als Rundgang an den Wänden und fangen bestes Oberlicht, während die vielleicht zweihundert Fotografien in einem Schachtelsystem in der Mitte des Raumes gehängt sind; man könnte sagen, daß sie für sich selbst stünden, hingen sie nicht fast ausnahmslos in trübem, diffusem Licht. Andererseits ist die rigide Trennung nicht durchgehalten: man findet an der Peripherie des Schachtelsystems einige wenige Hopper-Gemälde und im Rundgang einige Fotografien — nicht von jedem der neun in diesem Unternehmen vertretenen Fotografen eines, sondern von fünf der Fotografen sieben Bilder. Diese nehmen sich neben den Gemälden banal und verschwindend aus.

Die größte Überraschung ist die visuelle Qualität der Bilder Hoppers, die in Reproduktionen immer wirken, als sollten sie Fotografien sein, aber wären nicht so perfekt geraten wie vom Maler angestrebt. Nun sieht man, daß Hopper mit der Lust an der Täuschung, dem Undurchdringlichen der Air-brush-Malerei nichts zu tun hat, sondern ganz aus den Mitteln des Malerischen schöpft, Rembrandt bis Manet: die fahlen Gräser, die am Bahndamm aufschießen, sind in ihren Spitzen wie selbstverständlich „nur“ Pinselstriche, und ein Nachthimmel ist so dünn auf die Leinwand gebracht, daß die Struktur durchschimmert und den Eindruck des vage Materiellen, des greifbar Unendlichen großartig vermittelt. So tritt man an das Bild heran, um sich am Malerischen zu berauschen, und von ihm weg, um die Illusion stärker werden zu lassen. Es funktioniert, wie Malerei funktioniert.

Was Hopper zu Hopper macht, ist die melodramatische Entleerung der Szenerie. Seine Welt ist der geordnete Lebensraum der „Siedler“ im immer noch neuen Amerika, eine Architektur, die vom europäischen Traum „imperialer“ Größe bis zur puritanischen Kargheit reicht — und in dieser Kargheit, in der klaren Ordnung der Flächen, findet Hopper das Äquivalent seiner Sicht, seines ästhetischen Begehrens. Der als Versprechen begriffene Horizont, die Bewegung per Auto und Bahn, die vor einem Kasten zum Halt kommt, einem Hotel, einer Villa, dem Schuppen eines Tankwarts: „Gas“ (1940); als Variante: die Umkehr dieser Erfahrung des Ankommens und Vorerst-Geborgenseins: „Western Motel“ (1957), die Aussicht eines direkt an der Landstraße gelegenen Raumes mit niedrig gezogenem Fenster; die blonde Frau, die in rotem Kleid auf dem roten king size- Bett Modell sitzt, schließt sich ikonisch mit dem grünen Automobil, dessen Motorhaube am unteren Rand des Fensters auftaucht wie ein Schlafzimmer-Accessoire.

Das Häusliche ist nicht das Anheimelnde, oder wenn doch, dann nur als Hypothese, als ein Zustand mit Fenster zur Welt: „Nighthawks“ („Nachtschwärmer“) (1942), Klassiker bis zum Postershop. Die hell erleuchtete Bar öffnet sich wie ein Aquarium, man kann fast vollständig hindurchsehen. Nicht ganz so bekannt, aber vielleicht noch raffinierter sein „Office in a Small City“ (1953): der Einblick in das Eckzimmer der kahlen Häuserkiste ist zugleich ein Ausblick; der blaue Himmel steht als Grundfarbe im Büro. Der zünftige junge Mann mit hochgerolltem Hemd und Weste erscheint als Sachwalter einer im Bau begriffenen Zukunft. Wie in allen Gemälden Hoppers ist die Figur stark typisiert und sitzt wie etwas zu rauh geschnitzt im ansonsten nahezu glatten Ambiente.

Während Hoppers Dingbezug offensichtlich realistisch ist, sind die Standorte durchaus nicht immer nachzuvollziehen (der Betrachter des „Büros in einer kleinen Stadt“ zum Beispiel schwebt vor dem im vierten oder sechsten Stock gelegenen Fenster); sein Blick appelliert magisch an die Erfahrung und ist im gleichen Maß synthetisierend, protestantisch sparsam, das Ambiente bereinigt von Blumen und Tapeten.

Nicht ohne Staunen liest man die Interpretation des Hopper-Werks durch den Leiter der Ausstellung, Heinz Liesbrock. Er macht gar nicht erst den Versuch, Hoppers Perspektiven gegen die der Fotografen abzugrenzen. Ohne viel Federlesens wird der Kontext, mit dem sich die Ausstellung legitimiert, beiseite geräumt: „...insbesondere sollen keine Beeinflussungen oder Abhängigkeiten postuliert werden.“ Statt dessen entfaltet Liesbrock eine von ontologischen Nebelschwaden durchzogene Sicht auf das Werk des Malers, die in der These kulminiert, daß, was „in den Bildern als Spannung zwischen Innen- und Außenraum erscheint“, tatsächlich „wesentlich die Beziehung zwischen dem Sichtbaren und dem Unsichtbaren meint“. Die „Wahrheit des Sichtbaren“ — wie die Ausstellung im Untertitel geheimnisvoll heißt — liegt also darin, daß jenseits der Fensterscheibe die Metaphysik beginnt. Ein abendländisch durchtränkter Schwachsinn, den man gerne mal einer Abiturklasse zum Fraße anbieten möchte. Es ist nur zu klar, daß diese Art vorgeblich „hermeneutischer“ Verblendung den Durchlaß zur Fotografie nicht findet und nicht sucht. Die selbstverständlichste aller zu stellenden Fragen, nämlich ob Hopper eine Kamera besessen hat, wird mit einer Geste interpretierender Wichtigtuerei weiträumig umfahren. Es gibt keine brauchbare Biographie des Malers im Katalog.

Klarer ist der Aufsatz von Bernd Glowe, der Hoppers perspektivische Aufsichten mit dessen Begeisterung für Degas in Beziehung bringt. Dabei zieht Glowe die Verbindung zur neuen „Momentfotografie“ des ausgehenden Jahrhunderts, die er als „tertium comparationis für die Verwandtschaft von Degas und Hopper“ ansieht — was natürlich sofort die Frage aufwirft, wieso diese Momentfotografie in der Ausstellung „Edward Hopper und die Fotografie“ nicht vorgeführt wird; genauso wenig wie die Bilder des Bürgerkriegsfotografen Mathew Brady, die Hopper in Buchform besaß und schätzte, denn: „man sieht sofort, was wichtig ist. Sehr vereinfacht.“

Was statt dessen gezeigt wird, ist die prägende Stadt- und Landschaftsfotografie dieses Jahrhunderts; der älteste der Fotografen, Charles Sheeler, ist ein Jahr jünger als Hopper und stirbt zwei Jahre früher (1883-1965), daß Sheeler auch Maler war, spielt in der Ausstellung keine Rolle. Nimmt man es als gegeben, daß die Ausstellung mehr als Querverstrebungen zu finden nicht möglich macht, wird zwangsläufig die Frage nach den Unterschieden interessant und durch einige sehr krasse Beispiele deutlich beantwortet: Sheelers „Doylestown House — Stairs from Below“ ist eine elegante Studie der Treppe eine Wohnhauses, direkt und ohne Verkantung von unten gesehen. Das Bild ist in seinem

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Bau so klar — tektonisch —, daß man Mühe hat sich vorzustellen, man sehe nicht frontal auf den Gegenstand (der als Treppe nicht ohne weiteres auszumachen ist). Niemals hätte Hopper sich so vehement für die Täuschung des Blicks interessiert.

Ansonsten ist die Auswahl der Fotografien so gemacht, daß die Bilder Hoppers und die der Fotografen sich in einem Genre, das gerade jenseits der Architekturfotografie liegt, vereinen: Nicht nur der Maler, auch die Fotografen (Evans, Frank, Eggleston) waren mit dem Auto unterwegs, und die Entdeckung der Straße und die Entdeckungen von der Straße aus haben durchaus ihre Spuren in den Lebenswerken hinterlassen, auf die sie nun zugespitzt werden. Dabei ist auffällig, wie sklavisch die Fotografen ihre Kameras am rechten Winkel ausrichten, ohne die Linien stürzen zu lassen — als wäre die Welt in ihrer Vorstellung noch eine Scheibe; während der Maler, bei starken Auf- und Untersichten, Verzerrungen mühelos korrigieren kann. Der Maler zeigt sich als flexibler. Dennoch treffen sich Maler und Fotografen in der Weise, wie sie Häusern gegenüber treten, als handele es sich um menschliche Physiognomie.

Diese humanisierende Sicht auf den Gegenstand gehört gewiß zum Verständnis eines Volkes, das seinen Platz in der Landschaft gerade erst im Begriff ist zu finden — zur Identität des Siedlers. Allein Robert Frank, der zugewanderte Schweizer, ist von diesem perspektivischen Dogma vollkommen frei — er ist, während Hopper in den Fünfzigern seine amerikanischen Ehrungen und Würdigungen einstreicht — weder Exekutor eines Neues Sehens noch heimlicher Nationalist, wie letztlich die jüngeren, sehr erfolgreichen Farbfotografen Eggleston, Shore und Meyerowitz, die sich am Amerikanischen in Amerika berauschen — nicht so sehr Magier, als vielmehr Gefangene des Zwielichts, das zu entdecken der Maler Hopper natürlich geholfen hat.

Wirklich interessant wird der Vergleich nur dort, wo die Ausstellung den Pfad der zwangsläufig zufälligen Ähnlichkeiten verläßt, beim Bild des Menschen. Lee Friedlander, dessen zentrales Werk ja mit der Brechung der tektonischen Sicht Hoppers und Evans' zu tun hat, wird in Essen mit seinen Arbeitsplatzporträts vorgestellt: extrem nüchterne Porträts von Büromenschen, die im Betrachter sofort den Konflikt beleben, zu entscheiden, ob es sich bei dem oder der Abgebildeten um ein unverwechselbares Individuum oder eine soziale Marionette handele. In dieser Art Fotografie, bei der der von Hopper romantisch besetzte Binnenraum keine Rolle mehr spielt, ähnelt sich das Menschenbild durchaus, Friedlanders personnage hat so unbestreitbar „Charakter“ wie die entschlossenen Figuren Hoppers — aber die Fremdbestimmung durch Geld, Zufall und Arbeit, durch das Soziale, bleibt sichtbar. Nur eine Serie von Arbus-Porträts hätte diese Frage noch verschärfen können, aber die Auswahl der Fotografen ist klar orientiert an einem Hauptwerk „Stadtlandschaft/Interieur“ — überraschend eindeutig männlich besetzte Genres.

So großzügig, wie der Ausstellungsmacher Liesbrock die genealogischen Fragen einer Beziehung von Hoppers Malerei zur Fotografie den Offensichtlichkeiten des Gleichzeitigen opfert, bleibt auch der Blick auf andere Gattungen visueller Künste programmatisch ausgespart. Immerhin war Edward Hopper ein großer Freund des Theaters und des Kinos; das Kulissenhafte seiner Stadtansichten ist völlig unübersehbar. Das Broadwaytheater der zwanziger Jahre oder das Kino von Nicholas Ray oder John Ford könnten sehr wohl das tertium comparationis sein; daß Degas auch fotografierte, Sheeler malte und Robert Frank von der Fotografie zum Film wechselte, sind ja Hinweise für Überschneidungen, die allein schon biographisch, aber mit großer Wahrscheinlichkeit auch motiv- und ikonographiegeschichtlich nachzuweisen wären.

Es gibt keine Hopper-Bilder in Europa, und die letzte Ausstellung ist über zehn Jahre her — das ist die Logik der Schau, und in diesem Sinne ist sie sinnlich auch zu nutzen. Ansonsten keineswegs die beste Idee, sondern die Macht des Faktischen. Nach „Vincent Van Gogh und die Moderne“ und „Edward Hopper und die Fotografie“ erwarten wir von den Essenern ein großes komparatistisches Projekt zum Thema Hund und Katze, oder — falls das hermeneutisch nicht genug hergibt — Kuh und Pferd.

„Edward Hopper und die Fotografie. Die Wahrheit des Sichtbaren.“ Fotografen: Charles Sheeler, Paul Outerbridge, Paul Strand, Walker Evans, Robert Frank, Lee Friedlander, William Eggleston, Stephen Shore und Joel Meyerowitz. Ausstellung, Museum Folkwang, Essen. Bis zum 27.September 1992. Katalog im Museum 40DM, danach 78DM.

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