: Operation für Olympia: Skalpell soll Spritzen ersetzen
Die taz enthüllt eine delikate Geheim-Untersuchung führender Sportchirurgen: „Der operative Eingriff als Möglichkeit der Leistungssteigerung bei Spitzensportlern“/ Was den Laien ethisch-moralisch erschüttert, wird von Experten als sinnvoller Weg zum „human doping“ gepriesen ■ r. med. Michael Podnig
Die Olymischen Sommerspiele 1988 in Seoul, wie auch der Dopingprozeß von Katrin Krabbe & Co. brachten erneut ein seit vielen Jahren schwelendes Problem in die Schlagzeilen unserer Medien: Dopingskandale gaben Anlaß, sich mit den Grenzen der Leistungssteigerung durch Medikamente kritisch auseinanderzusetzen. Allgemeines Verbot mit strengsten Kontrollen auf der einen, Freigabe aller Dopingmittel auf der anderen Seite begrenzen das Spektrum der Meinungsvielfalt.
Die Entwicklung des Sports der letzten Jahrzehnte zeigt den eindeutigen Trend zur Spitzenleistung bei maximaler Opferbereitschaft der Athleten. Vor diesem Hintergrund stellt der leistungsteigernde operative Eingriff nur die konsequente Weiterentwicklung dar. Muten wir unseren jungen Athleten nicht schon jetzt kaum mehr ärztlich verantwortbare Opfer zu — Tausende von Trainingsstunden, Verletzungen mit den damit verbundenen Behandlungs- bzw. Rehabilitationsmaßnahmen etc. — nur um sie der Spitzenleistung näherzubringen? Von den psychischen Traumen einmal ganz abgesehen. Demgegenüber erscheint die Operation im Verhältnis zur Leistungssteigerung als das wesentlich kleinere Übel.
Doch zunächst einige Beispiele: Im südbayerischen Raum und den benachbarten Alpenländern, wo sich das Fingerhakeln als traditionsreiche Sportart immer größerer Beliebtheit erfreut, ist längst bekannt, daß ein kleiner Eingriff eine beachtliche Leistungssteigerung nach sich zieht: bei der sogenannten „Palmaristenodese nach Stangassinger“ wird die Sehne des langen Handflächenüberbeugers (m. palmaris longus) mit der langen Beugesehne des Mittelfingers in üblicher Durchflechtungstechnik vernäht. Dieser häufig erprobte Eingriff führt bei frühfunktioneller Nachbehandlung zu erstaunlichen Ergebnissen. Versuche, eine zusätzliche Kraftsteigerung durch weiteres Ankoppeln der Bizepssehne zu erreichen, scheinen erfolgreich, eine Nachuntersuchung aller 13 operierten Sportler steht kurz vor dem Abschluß.
Ein weiteres chirurgisches Betätigungsfeld ist die operative Fersenbeinverlängerung. Die Tatsache, daß die Länge des Fersenbeins bei Farbigen im Durchschnitt 0,5 bis 1,1 Zentimeter länger ist als bei Nichtfarbigen, erklärt die Spitzenleistungen vieler schwarzer Athleten aufgrund der daraus resultierenden besseren Hebelkräfte im oberen Sprunggelenk (OSG). Murphy et al. fanden bei untrainierten farbigen Amerikanerinnen einen um durchschnittlich 19 Prozent verminderten maximalen Wadenumfang als in der weißen, weiblichen Kontrollgruppe. Durch bessere Hebelwirkung im OSG reicht ein geringer Muskelquerschnitt der Wadenmuskulatur aus. Die kraftvolle Plantarflexion, also das über die Achillessehne übertragene Senken des Fußes, ist für die meisten Sprint- und Springsportarten die entscheidende Bewegung. Hierauf basieren die mittlerweile sehr erfolgversprechenden Versuche der Calcaneusverlängerungsosteotomie (CVO), der Fersenbeinverlängerung. Zur Zielgruppe gehören alle Spitzenathleten in Leichtathletik, Basketball, Fußball etc.
Die eigene Methode sei im folgenden kurz erläutert: über einen seitlichen Zugang wird das Fersenbein Z-förmig durchtrennt, nachdem zuvor zwei Bohrkanäle in Längsrichtung des Fersenbeins zur Aufnahme der beiden Knochenschrauben gelegt wurden. Die Schrauben werden mit 1,5 Zentimeter Überstand eingebracht, die Knochenhälften gespreizt, schließlich werden Knochenspäne aus dem Beckenkamm der gleichen Seite dicht in den Zwischenraum eingebracht. Der Eingriff wird nach Einlegen einer Drainage mit der Hautnaht beendet.
Mit belastungsstabiler knöcherner Heilung ist nach unserer Erfahrung nach Ablauf von cirka sechs Monaten zu rechnen. Nachuntersuchungen von bisher 21 nach dieser Methode operierten Sportlern ergaben eine Kraftzunahme der Plantarflexion an der Federwaage im operierten Sprunggelenk um 39,5 Prozent, wobei die Messungen vor dem Zweiteingriff im Rechts-links-Vergleich durchgeführt wurden.
Die Möglichkeiten leistungsteigernder Operationen an der oberen Extremität, also an Schulter, Ober- und Unterarm sowie an der Hand sind zwar — wie eingangs beschrieben — generell gegeben, doch sollten uns jüngste Meldungen aus der ehemaligen Sowjetunion an die Grenzen des Machbaren erinnern: bei Schießsportathleten wurde Mitte der achtziger Jahre, selbstverständlich auf freiwilliger Basis, der Versuch unternommen, durch operative Versteifung des Hand- bzw. Ellenbogengelenks am linken Arm (bzw. Rechtshändern) Mikrobewegungen während des Zielvorgangs zu reduzieren, dies sogar mit großem Erfolg. Hier scheint nach Meinung des Verfassers die Grenze der Verhältnismäßigkeit eindeutig überschritten, zumal es sich hierbei um einen die freie Beweglichkeit einschränkenden, und damit verstümmelnden Eingriff handelt.
Dennoch sollte nicht unerwähnt bleiben, daß nach einer Umfrage 89 Prozent (!) der sportlich aktiven Bevölkerung eine Hand- und Ellenbogengelenkversteifung eher in Kauf nimmt, als eine über mehrere Jahre andauernde Störung der Sexualfunktion, wie sie bei herkömmlichem Doping mittels Hormonsubstitution bekannt und gefürchtet ist.
Leistungsteigernde operative Eingriffe an der oberen Extremität beschränken sich daher auf sogenannte Verlängerungs-Osteotomien am Humerus, also auf die operative Oberarmverlängerung. Insbesondere beim Fechtsport scheint der Aufwand einer schonenden Oberarmverlängerung gerechtfertigt. Die eigene Methode entspricht im wesentlichen dem Kallusdistraktionsverfahren nach Ilisarov: Nach Anlegen eines äußeren Spanners seitlich am Oberarm, wobei wir den Wagnerapparat anderen Fixateur-externe Montagen vorziehen, wird der Oberarmknochen unter Beachtung des Verlaufs des N. radialis schonend mit dem Meißel durchtrennt und initial mit einer Distraktion von fünf Millimetern begonnen. Zwei Wochen später wird mit der kontinuierlichen Verlängerung von durchschnittlichen 0,3 Millimetern pro Tag durch den Athleten selbst fortgefahren.
Eine Steigerung bis auf einen Millimeter pro Tag ist zwar möglich, sollte jedoch von regelmäßigen neurologischen Kontrollen mit Messen der Nervenleitgeschwindigkeit bestimmt werden. Nach cirka acht Wochen ist durchschnittlich eine Verlängerungsstrecke von 4,5 Zentimetern erreicht. Nach Entfernen der Fixateur- Montage wird die funktionelle Krankengymnastik im Schutz eines Oberarmbrace intensiv fortgesetzt. Je nach Röntgenbefund kann das Training etwa drei Monate nach dem Eingriff wieder aufgenommen werden.
Ausblick: Die Rolle des Spitzensports in unserer Mediengesellschaft wird sich vermutlich in den kommenden Jahren und Jahrzehnten nur wenig ändern. Die Erfahrung hat gerade nach den letzten Olympischen Sommerspielen in Seoul gezeigt, daß Leistungssteigerung „durch die Spritze“ nicht nur durch verfeinerte Kontrollmethoden, sondern auch durch die bislang unterschätzten Wechselwirkungen der verabreichten Substanzen sich selbst ad absurdum geführt hat.
Möglichkeiten operativer Hilfen zur Leistungssteigerung blieben bislang unbeachtet, ja wurden aus sportmedizinischen Konzepten aus nicht erklärten Motiven ausgeklammert. Einzige mir bekannte Ausnahme ist die Mammareduktionsplastik bei Profi-Tennisspielerinnen, also die Verkleinerung der — insbesondere bei der Rückhand — hinderlichen rechten Brust — selbstverständlich auch der linken. Ist es mit der archaischen Angst vor dem blutigen Eingriff zu erklären, daß über Jahre der schmerzende Tennisellenbogen mit Hunderten von Pillen, Salben und Injektionen vergeblich behandelt wird, bis dann endlich der Entschluß zur Hohmannschen Operation gefaßt wird, die, fachgerecht durchgeführt, in ein bis zwei Wochen zu Beschwerdenfreiheit führt? Offensichtlich sind viele sportmedizinische Kollegen bereit, die Körper junger Athleten mit zahllosen Injektionen zu ruinieren, melden jedoch umgehend ethische Bedenken an, wenn man sie mit den beschriebenen chirurgischen Möglichkeiten der Leistungssteigerung konfrontiert.
Gesundheit wird von der Weltgesundheitsorganisation (WHO) als körperliches, psychisches und soziales Wohlbefinden definiert. Einem Athleten durch den chirurgischen Eingriff zu der ersehnten Spitzenleistung zu verhelfen, entspricht voll und ganz dieser Definition. Jeder plastisch rekonstruktive Eingriff — z.B. Schönheitsoperation — rechtfertigt sich unter medizinisch-ethischer Betrachtung seit langem durch diese Definition von Gesundheit.
Noch steht die Entwicklung leistungsteigernder operativer Eingriffe am Anfang. Allein durch die Möglichkeit leistungsspezifischer Muskelansatzveränderungen bei Ruderern, Gewichthebern etc. sei das weite Feld möglicher Innovation angedeutet. Die Erprobung neuer Ideen wird zur Herausforderung aller orthopädisch-chirurgisch tätigen, kreativen Kollegen.
Abschließend sei — nicht ohne Augenzwinkern — erwähnt, daß selbst in der Schöpfungsgeschichte die Verbesserung des psychischen und sozialen Wohlbefindens unseres Stammvaters nur durch eine Rippenresektion erreicht werden konnte.
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