: Eine Zeltstadt für sich
■ Circus Roncalli hat von der Kantine bis zur Feuerwehr alles dabei / Nostalgisches Ambiente verpackt technische Perfektion
hat von der Kantine bis zur Feuerwehr alles
dabei / Nostalgisches Ambiente verpackt technische Perfektion
Der Martin, die gutgenährte Zirkusgans, hockt, den Hals in die Flügel geschmiegt, auf seinem Lieblingsplatz - direkt neben zwei Füchsen. Das hübsche Rotfuchspaar döst allerdings hinter Gittern der Nachmittagsvorstellung entgegen, in der sie mit dem Tierzauberer Shmarlovski auf einem alten Wägelchen in die Manege fahren.
Die ungewöhnliche Freundschaft zwischen Gans und Fuchs scheint zu belegen, daß es beim Cirkus Roncalli immer noch etwas anders zugeht als in der übrigen, zunehmend verödenden deutschen Zirkuslandschaft. Anders als in Frankreich, wo Kultusminister Jack Lang das Zirkuswesen aus dem landwirtschaftlichen Ressort in die Obhut des Kulturministeriums verlegte, hat der Zirkus in Deutschland immer noch mit der kulturpolitischen Skepsis und schwerfälligen Stadt-
verwaltungen zu kämpfen.
Doch über das Wiehern der Amtsschimmel muß ein Zirkus heute wie gestern erhaben sein, um überleben zu können. Malerisch ist das weiße Zelt des Circus Roncalli von etwa 100 liebevoll restaurierten Zirkuswagen umstellt. Sogar der zirkuseigene Feuerwehrwagen, der regelmäßig vom TÜV und von der Feuerwehr überprüft wird, ist schon 45 Jahre alt und glänzt dennoch in beruhigendem Rot. Aber in der perfekt organisierten Zirkusstadt verläßt man sich nicht allein auf den nostalgischen Spritzenwagen: Das 1700 Zuschauer fassende Zelt ist zudem flächendeckend mit Wasserschläuchen unterlegt.
Seit Anfang Juni gastiert Zirkusdirektor Bernhard Paul erfolgreich mit seinen fast 130 Mitarbeitern zu Füßen des steinernen „Eisernen Kanzlers“ im Alten Elbpark. Täglich
bilden sich Schlangen von Menschen, die eine Karte für die „Reise zum Regenbogen“ ergattern wollen. Das Jubiläumsprogramm anläßlich des 15jährigen Bestehens eines Unterhaltungsunternehmens, dem zu Beginn kaum ein Fachmann Erfolgsaussichten eingeräumt hatte, dreht sich um die Komik, das „schwerste Geschäft der Welt“, so Bernhard Paul über die professionelle Fähigkeit, Menschen zum Lachen zu bringen.
Jede artistische Nummer hat einen komischen Akzent bekommen, und ganz nach dem Geschmack des Direktors, der selbst fast täglich als dummer August namens Zippo in die Manege stolpert, haben die Clowns auf dieser „Reise zum Regenbogen“ eine besonders wichtige Rolle bekommen.
Eine Stunde vor der Vorstellung beginnt der Weißclown Francesco in einem der Garderobenwagen die Schminke aufzutragen. Francesco Groli kommt aus der alten Zirkusfamilie Caroli. Da im Zirkus mehr als anderswo die Devise „the show must go on“ zählt, wurde Francesco vor 53 Jahren in Magdeburg zum Weißclown, weil er für einen Kollegen einspringen mußte. Über 50 Jahre lang feierte er mit seinen beiden Brüdern im „Trio Francesco“ weltweite Erfolge. Doch als sein Bruder Enrico, dessen Taufpate der legendäre Jongleur Rastelli gewesen war, vor einigen Jahren starb, zog sich Francesco zunächst zurück und wurde Professor an der ersten staatlichen Zirkusschule Frankreichs in Chalon sur Marne. Deshalb ist man im Circus Roncalli
schon ein bißchen stolz darauf, daß der inzwischen 70jährige Francesco auf dieser Reise dabei ist.
Seit über zehn Jahren bekocht Artistengattin Paulina, die zuvor fast 20 Jahre den Zirkus Sarasani beköstigt hat, in ihrer rollenden Küche die Mitarbeiter, die keinen eigenen Wagen haben und neben ihrem Gehalt auch Kost und Logis bekommen. Beim Zirkus müssen eben alle zupacken, wo sie können. Die Kinder jedoch werden nicht mehr zur Arbeit herangezogen, wie
es früher Tradition war, als schon 5jährige Zirkusprinzessinnen auf den Händen ihres Vaters in die Höhe gestemmt wurden.
Die letzten Minuten vor dem Einlaß zur Nachmittagsvorstellung verrinnen. Angelo, der dumme August neben Bernhard Paul und dem Weißclown Francesco, geht auf der Wiese schweigend auf und ab und sammelt sich für seine schwere Aufgabe an diesem Nachmittag. jk
Wegen der großen Nachfrage wurde das Gastspiel bis 2. 8. verlängert
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen