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Frieden schaffen mittels Waffen

■ SPD-Verteidigungsexperten plädieren für Kampfeinsatz der Bundeswehr/ Tauziehen um Adria-Einsatz der Marine/ Parteiinterner Widerstand gegen SPD-Verfassungsklage wächst

Bonn (dpa/AP) — Der Kampfeswille innerhalb der SPD wächst. Vor der Sondersitzung des Bundestages am nächsten Mittwoch plädierten SPD-Verteidigungsexperten dafür, Kampfeinsätze der Bundeswehr im Rahmen von UNO-Aktionen durch eine Verfassungsänderung zu ermöglichen. Dagegen hält die SPD an ihrem Entwurf zur Änderung des Grundgesetzes fest, der in der Bundestagssondersitzung beraten werden soll. Dieser sieht ausschließlich Bundeswehreinsätze innerhalb von UNO-Blauhelm-Aktionen vor und schließt Kampfmaßnahmen strikt aus. Auch im Streit um den Marineeinsatz in der Adria gerät die SPD immer stärker in Bedrängnis. Während die Regierungsparteien am Wochenende scharfe Kritik an der ablehnenden Haltung der SPD-Spitze übten, formierte sich innerhalb der SPD zunehmend Widerstand gegen die angekündigte Verfassungsklage.

Die SPD-Verteidigungsexperten Erwin Horn und Horst Niggemeier plädierten in der Welt am Sonntag für einen Kurswechsel ihrer Partei in der Außen- und Sicherheitspolitik. „Bestimmte Sozialdemokraten singen auf dem Klo die Internationale, und wenn sie rauskommen, treiben sie Provinzpolitik“, sagte Horn. Die SPD „wird sich nicht darum herummogeln können, daß eben internationale Friedensstiftung in Ausnahmefällen auch mit militärischen Mitteln hergestellt werden muß“. Sowohl Horn als auch Niggemeier sprachen sich für eine Einigung mit der Union und damit für Kampfeinsätze der Bundeswehr im UNO-Rahmen aus.

Verteidigungsminister Rühe will, daß die Bundeswehr bereits 1993 an friedenserhaltenden Blauhelm-Einsätzen der UNO teilnimmt. Dafür sei aber eine „verfassungspolitische Klarstellung“ notwendig, sagte Rühe dem Spiegel. CDU/CSU- Fraktionschef Wolfgang Schäuble hält dagegen eine Verfassungsänderung nicht für erforderlich — weder für Bundeswehr-Einsätze innerhalb von Blauhelm-Aktionen noch für Kampfeinsätze unter UNO-Flagge. Dennoch sei eine Klarstellung im Grundgesetz „wünschenswert“, sagte er der Welt am Sonntag.

Politiker der Union und der Liberalen bekräftigten am Wochenende ihre Auffassung, die SPD werde mit einer Verfassungsklage in Karlsruhe gegen den Marineeinsatz in der Adria scheitern, und übten scharfe Kritik an der Haltung der SPD. Der parlamentarische Geschäftsführer der CDU/CSU-Fraktion, Jürgen Rüttgers, warf den Sozialdemokraten im Kölner Express Mitschuld am Tod Tausender unschuldiger Menschen vor. Die SPD verhielte sich, als ob der Krieg in Jugoslawien sie nichts anginge. FDP-Vorsitzender Otto Graf Lambsdorff schrieb in der Leipziger Volkszeitung, die SPD wolle den Beobachtungseinsatz der Bundesmarine in der Adria von Richtern bewerten lassen, um die „Konzeptionslosigkeit der eigenen Partei zu überdecken“.

SPD-Parteichef Björn Engholm wies die Kritik an seiner Fraktion zurück und wandte sich gegen einen übereilten Beschluß. Zugleich betonte er, er trage die Entscheidung, den Bundeswehreinsatz vom Verfassungsgericht überprüfen zu lassen, voll mit, „weil die Regierung den Verfassungsauftrag verlassen hat“. Der Bundesregierung warf er in der ZDF-Sendung „Bonn direkt“ am Sonntag vor, mit der Entscheidung über den Bundeswehr-Einsatz in der Adria den Bundestag bloßgestellt zu haben.

Dagegen warnte der rechtspolitische Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion, Hans de With, vor den unabsehbaren Konsequenzen einer Verfassungsklage. Die Karlsruher Richter könnten das Vorgehen der Bundesregierung gutheißen und Spielraum für noch weitergehende Maßnahmen aufzeigen. Daraus könnte eine Grundgesetzänderung folgen, die die SPD ablehne.

Unterdessen bahnt sich auch zwischen Grünen und Bündnis 90 ein Streit um die Rolle der Bundeswehr an. Auslöser ist ein Entwurf der Bundestagsgruppe Bündnis 90/Grüne für eine Grundgesetzänderung mit dem Ziel, der Bundeswehr künftig die Teilnahme an „friedenserhaltenden Maßnahmen“ im Ausland zu ermöglichen. Die rheinland-pfälzischen Grünen werteten diesen Entwurf als „friedenspolitischen Sündenfall ersten Ranges“.

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