: Show-down begann
Staatsanwaltschaft fordert lebenslänglich für ■ Jürgen Auer
Wieviel Zeit braucht man, um „lebenslänglich“ zu fordern, seine Aktenordner zuzuklappen und einen der spektakulärsten Fälle der Hamburger Justizgeschichte hinter sich zu lassen? Sechseinhalb Minuten reichten dem Oberstaatsanwalt Manfred Grünhage gestern aus, um den Konditor Jürgen Auer einen Mörder zu nennen und eine drakonische Haftstrafe zu fordern. Dann ließ der kleine Mann mit dem weißen Haarkranz das Schloß seiner Aktentasche einrasten und verschwand.
Oberstaatsanwalt Grünhage unterstrich in wenigen Sätzen seine Überzeugung, daß Auer den Bergedorfer Kaufmann Erhard Walther am Buß-und Bettag 1982 eigenhändig erschossen hat. Als Begründung hat er aus den zahllosen widersprüchlichen Indizien ein paar herausgepickt, die diese Annahme stützen. Auer hatte die Tat zunächst gestanden, als er gemeinsam mit seinem italienischen Freund in Mailand festgenommen wurde. Später hatte er sein Geständnis allerdings widerrufen. Außerdem beruft sich der Oberstaatsanwalt auf einen italienischen Polizeispitzel, der Auer in der Polizeikaserne belauscht hat. Nach der Aussage des V-Mannes soll Auer damals gesagt: „Wir haben den Kerl umgelegt, jetzt sitzen wir in der Scheiße.“
Die seltsamen Methoden der italienischen Polizei blieben in Grünhages Plädoyer gleichermaßen unerwähnt wie die Schußentfernung, aus der der Kaufmann getötet worden ist. Entweder wurde das Opfer aus einer Distanz von 40 oder von über 400 Zentimetern erschossen, so der Gutachterstreit. Daraus könnte sich ein Widerspruch zu Auers (widerrufenem) Geständnis ergeben.
Einen weiteren Schnellschluß leistete sich der Oberstaatsanwalt bei der Beurteilung des Alibizeugen der Verteidigung, der Auer zur Tatzeit 1982 dabei beobachtet haben will, wie er in einem Restaurant drei Portionen Muscheln zum Mitneh-
1men bestellte. „Der Zeuge“, so Grünhage, sei zu „einer solchen Gedächtnisleistung gar nicht fähig.“ Der Alibizeuge war der springende Punkt in der Anordnung der Karlsruher Richter von 1990 an die Hamburger Justiz, den Fall neu aufzurollen.
Die Rekordleistung des Anklagevertreters brachte die Rechtsanwälte Auers vollends auf die Palme. Das Show-down hat begonnen. Das Plädoyer der Verteidigung ist für Mittwoch vorgesehen. Lisa Schönemann
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