: Die Erde ist sehr klein
Die wendländische Filmcooperative über Männer, die Raketen bauen, ZDF, 23Uhr ■ Von Manfred Kriener
40 alte Männer stehen silberhäuptig im Rund zum Klassenfoto aufgereiht, allesamt Raketenpioniere, die letzten Zeitzeugen aus der Mannschaft des Wernher von Braun. Schon mit 14 Jahren hatte der große von Braun beschlossen, den Weltraum zu erobern. Die Alten berichten von den Motiven und Erlebnissen der damaligen Zeit, als Raketenkonstrukteure von Hitler und später als Helfer der Nasa. Irgendetwas in uns sei programmiert, die Erde zu verlassen, die Schwere des irdischen Daseins mit der Schwerelosigkeit des Alls zu vertauschen. Wie der Lurch den Urschlamm, so verläßt der Mensch die Erde, die für sein dynamisches Wesen zu klein geworden ist. Alte Männer, nicht unsympathisch, berichten nostalgisch verklärt und schutzlos über ihre Träume und über ihr Leben.
Das Team der wendländischen Filmcooperative läßt sie nur bruchstückhaft reden. Gedankenfetzen werden isoliert, montiert, wiederholt, verfremdet. Dazu werden aus den Laboratorien des weltraumfahrenden Menschen suggestive Bilder unterlegt. Die riesige Spielzeugwelt der Nasa, ihre frühen Jahre in wunderschönen Archivaufnahmen. Die Kids beim Besuch der Space-Center, wo sie in Astronautenanzüge schlüpfen und über ihre Träume reden. Sie sind nicht anders als die der alten Männer, die bei aller Klapprigkeit noch immer von Stern zu Stern springen wollen.
Raketen, Köpfe, Labore, Träume, kalter Stahl, schrille Musik, stark Worte und sparsame Kommentare mit kurzen Schnitten aneinandermontiert. Und Gegenbilder: Vögel statt Raketen, verklärte Wolkentürme und immer wieder ein hysterischer Chinese, der auf der Straßenkreuzung von San Francisco steht und gegen den Verkehr anschreit.
Der Film ist eine eigenwillige Denunziation der Allmachtsphantasien der Wissenschaft, ein Angriff auf jene „Männer, die Raketen bauen, die Folgen ihres Tuns verleugnen und Verantwortung verweigern“, so die Autoren. Ein wenig zu lang geraten, aber die Geduld wird immer wieder von eindrucksvollen Interviews belohnt. Zu Wort kommt dabei auch der Hauptkonstrukteur von „BiosphäreII“, jener künstlichen Lebenswelt, in die sich für ein zweijähriges Experiment eine Gruppe von Freiwilligen begeben wollte.
„Gestern war heute noch morgen“ ist die neueste Produktion der wendländischen Filmcooperative, der letzten Filmcooperative der Bundesrepublik.
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