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Auf der Flucht vor bellenden Vierbeinern

■ taz-Serie über Naturschutzgebiete: Das Stellmoorer Tunneltal in Rahlstedt ist von der Frühgeschichte geprägt/Von Rentierjägern bis Panzern - Angst hat das Wild nur vor freilaufenden Hunden

: Das Stellmoorer Tunneltal in Rahlstedt ist von der Frühgeschichte geprägt / Von Rentierjägern bis Panzern — Angst hat das Wild nur vor freilaufenden Hunden

Vor einigen tausend Jahren waren in Rahlstedt die Rentierjäger unterwegs. Heute brettern Laster über den Höltigbaum, aber auf beiden Seiten der Brücke führen versteckte Fußwege in ein Tal, das noch einiges von der Frühgeschichte der Gegend ahnen läßt. Rechts und links vom Bahndamm zwischen Rahlstedt und Ahrensburg fließen Wandse, Stellmoorer Quellfluß und Hopfenbach durch ein „länderübergreifendes“ Naturschutzgebiet.

Der Hamburger Teil, das Stellmoorer Tunneltal, ist 200 Hektar groß und damit das drittgrößte der Hamburger Schutzgebiete. In Schleswig-Holstein stehen im angrenzenden Ahrensburger Tunneltal 339 Hektar seit 1982 ebenfalls unter Schutz. Weltbekannt wurde das ehemalige Revier der Rentierjäger durch aufsehenerregende Ausgrabungen in den 30er Jahren. Archäologen fanden Stein-, Holz- und Knochengeräte der Jäger, die seit 10500 vor Christus die Gegend nutzten. Pfeil und Bogen wurden zum ersten Mal in Europa im Stellmoorer Tal gefunden. Heute vermittelt der markierte archäologisch-naturkundliche Wanderweg auf Ahrensburger Gebiet einen Eindruck von Vor- und Frühgeschichte der Landschaft.

Das sieben Kilometer lange und bis zu zwei Kilometer breite Tal hat eine ungewöhnliche Entstehungsgeschichte. Vor etwa 15000 Jahren drangen Gletscher von Skandinavien bis ins heutige Rahlstedt vor. Das in Richtung Elbe abfließende Schmelzwasser grub sich später einen Tunnel unter dem Eis und hinterließ zahlreiche Becken, Schwellen und Dämme, die auch heute noch die Landschaft prägen.

Tiere, die heutzutage in der Niederung der Wandse leben, fürchten sich weniger vor Jägern, sie sind auf der Flucht vor bellenden Vierbeinern. „Führen Sie Hunde ganzjährig an der Leine“, lautet zwar die Naturschutzbestimmung und droht damit, daß Verstöße gegen die Verordnungen bestraft werden. Das scheint aber kaum jemanden abzuschrecken. Mindestens zwei freilaufende Hunde pro Kilometer trifft man am Werktag im Stellmoorer Tunneltal. „Für die Kleintiere ist jeder Hund ein Jagdhund und ein Feindbild“, erklärt Uwe Westphal vom Naturschutzbund. Vögel wie Kiebitz und Bekassine, die am Boden brüten, verlassen aufgescheucht ihre Nester, die Eier kühlen aus.

Nebenan auf dem Truppenübungsplatz Höltigbaum macht der Naturschutzbund gerade Bestandsaufnahme der Tier- und Pflanzenwelt. Dort, wo scharf geschossen wird, „tobt der Bär“, so Westphal. Die Rehe grasen ungestört weiter, wenn in wenigen Metern Entfernung Panzer vorbeirollen — Militärfahrzeuge sind zumindest fürs Wild kein Feindbild. Verglichen mit dem Übungsgelände sei das Tierleben im benachbarten Stellmoorer Tunneltal „tote Hose“, sagt der

1Naturschützer und führt das unter anderem auf Hunde und Spaziergänger abseits der Wege sowie die ausgedehnten Pony- und Pferdeweiden zurück. Die Feuchtwiesen im Tal werden zum größten Teil als Grünland für Pferde- und Ponyhaltung genutzt. Auf einigen Weiden grasen zwar die genügsamen zotteligen schottischen Hochlandrinder, aber auch die zertrampeln die

1feuchten Wiesen und lassen kaum einen Halm stehen.

Es ist allerdings nicht alles nur „tote Hose“ im Tunneltal. Die Umweltbehörde hat 1982 begonnen, die in den 30er Jahren zu lebensfeindlichen Spülrinnen begradigten Bäche wieder in ihre alten Flußbetten zu verlegen. Jetzt schlängeln und winden sich Wandse und Stellmoorer Quellfluß wieder,

1zur Freude von Fischen, Krebsen, Fröschen und Libellen. In den Eichenwäldern wachsen Wildbirnen und Wildäpfel, und über die Trockenrasen flattern Schmetterlinge. Vera Stadie

Anreise mit der U1 bis Ahrensburg-Ost oder der S4 bis Rahlstedt. Man kann übrigens gut durchs Tal radeln, immer an der Bahnlinie lang.

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