piwik no script img

Nichts für Kulturautisten

Wüste Polemiken, solider Umsatz und ein Schub Moderne für Amerika: Die Kölner Sonderbundausstellung vor 80 Jahren  ■ Von Stefan Koldehoff

Die Ausstellung war gerade einmal fünf Tage jung, als die von ihr ausgehende Gefährdung der abendländischen Kultur für die lokale Presse bereits eine unumstößliche Tatsache geworden war: „Für die öffentliche Kunstpflege in den Rheinlanden ist der Westdeutsche Sonderbund eine schädliche Einrichtung, die nicht zu begünstigen, sondern energisch zu bekämpfen ist“, wetterte am 31.Mai 1912 der Kölner Stadtanzeiger. Einen Tag später zog die Rheinische Zeitung in einem fiktiven offenen Brief eines anonymen Autors A. an Pablo Picasso ironisch nach: „Sie lösen alles in Würfel auf, weil diese Form dem Auge des Urmenschen im Chaos am angenehmsten gewesen sein dürfte. (...) Karlchen macht mit seinen Bauklötzen dieselben Gebilde. Mein Herr Kubist, Sie spintisieren und reflektieren noch zu wenig. Sie schaffen noch zu unbewußt und intuitiv. Sie sollten noch länger grübeln, vielleicht fänden Sie dann eine besseren Bluff als die meschuggene Dame mit der Gitarre.“

Kaiserliche Staatskunst fand nicht statt

Was die Kölner Ausstellungsinitiatoren des erst 1908 gegründeten „Sonderbundes westdeutscher Kunstfreunde und Künstler“ in der eigens am Aachener Tor errichteten Ausstellungshalle zeigten, war für das auch kulturpolitisch erzreaktionäre wilhelminische Kaiserreich zweifelsohne starker Tobak: „Die diesjährige vierte Ausstellung des Sonderbundes will einen Überblick über den Stand der jüngsten Bewegung in der Malerei geben, die nach dem atmosphärischen Naturalismus und dem Impressionismus der Bewegung aufgetreten ist und nach einer Vereinfachung und Steigerung der Ausdrucksformen, einer neuen Rhythmik und Farbigkeit, nach dekorativer oder monumentaler Gestaltung strebt, einen Überblick über jene Bewegung, die man als Expressionismus bezeichnet hat“, hatte in seinem Katalogvorwort der Barmer Museumsdirektor Richard Reiche angekündigt. Um dieses Ziel zu erreichen, wurden alle Einzelkünstler und Künstlergruppen aufgefahren, die heute gut und teuer sind, damals aber vor allem als „undeutsch“ abqualifiziert wurden und für den Kulturautisten WilhelmII. schlichte „Rinnsteinkunst“ produzierten: nach Ländern gehängt, vertraten unter anderem Heckel und Kirchner, Erbslöh und Schmidt-Rottluff, Nolde und Pechstein, Lehmbruck, Macke, Jawlensky und Kandinsky Deutschland. Die „Nabis“ Bonnard, Vuillard und Denis hingen neben Braque und den „Fauves“ Derain, Matisse, Marquet und Vlaminck für Frankreich, Munch für Norwegen und Kokoschka und Schiele für Österreich. Der brave Akademismus der kaiserlichen Staatskunst fand beim Sonderbund nicht statt. Er demonstrierte selbstbewußt die Suche nach neuen Themen und Formen: Länderübergreifend hatte etwa der in Hagen lebende Niederländer Jan Thorn-Prikker Glasfenster mit Szenen aus dem Leben Christi und mit Ornamenten für eine in der Halle eigens aufgebaute Kapelle entworfen, deren jutebespannte Wände und Decke von Heckel und Kirchner bemalt worden waren. Härter als in der Projektion auf den Sakralbau hätte der Bruch mit der Vergangenheit kaum manifestiert werden können.

Der von Richard Reiche geleitete Arbeitsausschuß, dem progressive Kunsthändler wie Josse Bernheim- Jeune und Paul Cassirer und verschiedene Museumsleiter angehörten, verband mit seiner Ausstellung neben kommerziellen ganz bewußt auch didaktische Absichten: Eine retrospektive Abteilung mit 26 Werken von Cézanne, 25 von Gaugin und imposanten 135 Gemälden und Aquarelklen Vincent van Goghs sollte „die historische Grundlage aufzeigen, auf der sich diese vielumstrittene Malerei unserer Tage aufbaut“. Erst ein Jahr zuvor hatte der „Protest deutscher Künstler“ die Kunstszene in Aufregung versetzt. Eine Gruppe um den biederen Landschaftsmaler Carl Vinnen nahm damals, die antimodernistische Kulturpolitik des Kaiserreiches im Rücken, den Ankauf von Van Goghs „Mohnfeld“ für die Bremer Kunsthalle zum Anlaß für ein umfangreiches Pamphlet gegen alle modernene Strömungen in der zeitgenössischen Kunst. Pseudowissenschaftliche Argumentationsmuster sollten den Futterneid kaschieren: Mittlerweile setzten sich vor allem durch die Aktivitäten des Kunsthändlers Paul Cassirer bei den finanzstarken deutschen Privatsammlern die französischen Impressionisten durch — deutsche Kunst war längst nicht mehr so gefragt wie einst.

Van Gogh, Stolz unserer Rasse

Übergehen konnte der Sonderbund die erst kurze Zeit zurückliegende Diskussion, die sich daraus entwickelt hatte, kaum. Bei allem Willen, gegen die konservativen Tendenzen auf dem deutschen Kunstmarkt anzugehen, durfte er aber auch durch zu provokante Thesen nicht die potentielle Kundschaft verärgern. So wurde einfach ein wenig gemogelt. Als „großen Holländer, den wir stolz zu unserer Rasse rechnen“, hatte Reiche Van Gogh schon in seinem Katalogvorwort eingeführt. Die Raumaufteilung in der Ausstellung unterstrich die völkische Vereinnahmung: Einer der fünf Van-Gogh-Säle gehörte architektonisch schon zur deutschen Abteilung. Andere beteiligte Künstler wie die Russen Kandinsky und Bechtejeff wurden kurzerhand dadurch eingedeutscht, daß sie seit längerer Zeit in Deutschland lebten und arbeiteten.

Prompt meldeten auch fortschrittliche Künstler Protest an. Franz Marc bemängelte, daß sich die Sonderbund-Jury gegen eine geschlossene Ausstellung der KünstlerInnen des „Blauen Reiters“ ausgesprochen hatte: „Die Künstler sollen nicht von den Ausstellungen abhängig sein, sondern die Ausstellungen von der Künstlern.“ Gemeinsam mit Herwarth Walden organisierte er in der Berliner „Sturm“-Galerie die Ausstellung „Die zurückgestellten Bilder des Sonderbundes“ und geriet daraufhin heftig mit seinem Künstlerfreund, dem Sonderbund-Befürworter August Macke, aneinander.

Trotz dieser Reibereien wurde die Kölner Sonderbundausstellung in mehrfacher Hinsicht ein Erfolg: Kommerziell konnten viele der ausstellenden KünstlerInnen und ihre Galeristen zufrieden sein. Eine nicht unerhebliche Zahl der Van-Gogh- Werke wechselte vor allem durch das unermüdliche Engagement von Paul Cassirer den Besitzer. Fast täglich berichteten die Zeitungen über den aktuellen Stand der Gesamtverkaufssumme der vermittelten Kunstwerke: 40.000 Reichsmark am 30.Juni, 145.000 am 31.Juli und 250.000 Reichsmark am 31.August. Zu den Käufern moderner Kunst, die sich durch die Kölner Ausstellung für die Moderne begeistern ließen, zählten auch das Kaiser-Friedrich- Museum in Magdeburg und das Kölner Wallraf-Richartz-Museum.

Den nachhaltigsten Eindruck aber hinterließ der noch im selben Jahr wieder aufgelöste Sonderbund mit seiner vierten und größten Ausstellung in den Vereinigten Staaten. Noch am letzten Tag, dem 30.September 1912, besuchte der amerikanische Maler Walt Kuhn die schon im Abbau befindliche Kölner Ausstellung. Was er an moderner Kunst sah, begeisterte ihn und eine Reihe amerikanischer Mäzene und Künstler so sehr, daß sie nach deutschem Vorbild im folgenden Frühjahr in New York City die „Armory Show“ organisierten. Ähnlich wie in Europa löste auch diese Ausstellung der international führenden KünstlerInnen jener Zeit in der amerikanischen Öffentlichkeit heftigen Widerspruch aus. In der neuen Welt hinterließ das Experiment Moderne aber eine dauerhaftere Wirkung: Den Beginn der Moderne konnten dort, anders als in Deutschland, weder der Erste noch der Zweite Weltkrieg ernsthaft verhindern.

Ein bibliophiles Faksimile-Reprint des Sonderbundausstellungs-Katalogs erschien 1981 mit Kommentarband im Wienand- Verlag, Köln. Weitere Literatur zum Thema internationale Kunst in Deutschland:

—Georg Brühl: „Die Cassirers.“ Edition Leipzig 1991, 500Seiten mit zahlreichen Abb., 149Mark.

—Bernd Klüser und Katharina Hegewisch (Hg.): „Die Kunst der Ausstellung.“ Insel Verlag, Frankfurt 1991, 250Seiten mit zahlreichen Schwarzweiß-Abb., 98Mark.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen