piwik no script img

Armee unterliegt kritischen Soldaten

Bundesverfassungsgericht hebt die Degradierung zweier Soldaten des „Darmstädter Signals“ auf/ „Alle Soldaten sind potentielle Mörder“ ist kein Grund zur Bestrafung von Soldaten  ■ Von Wolfgang Gast

Berlin (taz) — Eine Schlappe für die Bundeswehr: Das Bundesverfassungsgericht hat die Disziplinarstrafen gegen zwei Offiziere der Bundeswehr aufgehoben, die öffentlich die Aussage „alle Soldaten sind potentielle Mörder“ befürwortet haben. Die Verfassungsbeschwerde beider Soldaten, die im Arbeitskreis „Darmstädter Signal“ organisiert sind, ist nach dem einstimmigen Spruch des zweiten Senates beim Karlsruher Verfassungsgericht „offensichtlich begründet“ — und die Verurteilungen durch den 2. Wehrdienstsenat des Bundesverwaltungsgerichts in Berlin damit hinfällig.

21 Berufs- und Zeitsoldaten hatten am 20. November 1989 das sogenannte „Soldatenurteil“ des Frankfurter Landgerichtes ausdrücklich begrüßt. Das Landgericht hatte in einer Aufsehen erregenden Entscheidung im Oktober '89 den Frankfurter Arzt Peter Augst freigesprochen, der bei einer Podiumsdiskussion einem Jugendoffizier entgegengehalten halte: „Alle Soldaten sind potentielle Mörder.“

Für den Sprecher des Darmstädter Signals, Major Helmuth Pries, hatte die öffentliche Erklärung — „wir halten diese Ausage für inhaltlich richtig“ — drastische Konsequenzen. Der Major wurde um zwei Dienstgrade zum Oberleutnant degradiert. Ein anderer Unterzeichner, ein Zeitsoldat, wurde mit einem dreijährigen Beförderungsverbot belegt. Zur Begründung ließ sich der Wehrdienstsenat einfallen: vorsätzlicher Verstoß gegen die Dienstpflichten zur Zurückhaltung, Disziplin und Kameradschaft sowie gegen die „außerdienstliche Wahrung des Ansehens der Bundeswehr“. Argumentativer Höhepunkt des Berliner Gerichts: Die beiden Offiziere erklärten ihre Kameraden damit zu „der Anlage oder Möglichkeit nach gewissenlosen Killern“.

Das Karlsruher Verfassungsgericht wies nun die „verschärfende“ Interpretation der Offizierserklärungen zurück. Dies sei unter anderem ein Verstoß gegen das Grundrecht auf freie Meinungsäußerung. Dieses unterliege bei Soldaten zwar „besonderen Beschränkungen“. So habe jeder Soldat die Pflicht, bei seinen Äußerungen auf die Empfindungen seiner Kameraden Rücksicht zu nehmen und sich „besonnen, tolerant und sachlich zu äußern“. Aber dennoch habe das Bundesverwaltungsgericht die Äußerungen überinterpretiert und den Kontext der gesamten Erklärung nicht hinreichend gewürdigt. Die Fehlinterpretation des Wehrdienstsenates sei „von emotional gefärbter Begrifflichkeit“ getragen.

Ausdrücklich ließen die Verfassungsrichter aber offen, ob die inhaltliche Billigung der Aussage „alle Soldaten sind potentielle Mörder“ als Dienstvergehen zu werten ist. Der Wehrdienstsenat muß nun über die Sache neu verhandeln.

Die Posse, die bereits 1931 mit Tucholskys Satz „Soldaten sind Mörder“ die Gerichte beschäftigte (und mit einem Freispruch endete), geht in weitere Runde. (Aktenzeichen: 2 BvR 1802/91 und 2 BvR 1857/91).

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen