: Die Bengelmacherin
■ Birgitt Reckmeyer produziert bei Radio Bremen die Unterhaltung — und Stars wie Kerkeling, die ihr sodann entweichen
Birgitt ReckmeyerFoto: Tristan Vankann
Sie macht die buntesten Klamotten des deutschen Fernsehens, sie hat Medienstars wie Margarete Schreinemakers und Hape Kerkeling aufgebaut, und sie fängt, weil die Privaten kaufen, was den Mund aufkriegt, immer wieder von vorn an: Birgitt Reckmeyer, Unterhaltungsredakteurin bei Radio Bremen, erzählte der taz, wie das Fernsehen am besten sich selbst verarscht.
taz: Mit „Extratour“ fing alles an.
Birgitt Reckmeyer: Da konnte ich zum ersten Mal die Mischung machen, die mir immer schon vorgeschwebt war: alles bunt, alles schräg, alles live. Da schalteten wir also raus zu Michael Geyer und Christian Berg, die gingen ins Postamt, rissen die Briefe auf und lasen sie vor und hielten an der Straße die Autofahrer an und fragten sie, ob sie gegen eine Umweltkarte ihre Kisten abgeben würden. Und das Irre war: Wir haben tiefladerweise da die Autos abtransportiert; soviel zur Abteilung Politischer Journalismus;
dann braucht man Stars wie Rudi Carrell, aber ganz anders: Der ging in den Schnoor und klingelte an wildfremden Türen um Einlaß, und am Ende verlas er aus einer Kneipe die Nachrichten; und man braucht freche Moderatoren. Und da sagte also mal Mike Leckebusch, bei dem ich als Redaktionsassistentin angefangen hatte: Guck dir doch mal die Schreinemakers an. So ging das los.
Und war ein ungeheurer Erfolg.
Ja, aber sowas kann man nicht lang machen: Margarete als Moderatorin kriegte natürlich am meisten ab, und sofort gingen die Eifersüchteleien los, Carrell überlegte, ob das gut für ihn sei, und die andern wollten plötzlich nicht mehr live, und so ging das zu Ende. Kurz darauf lief mir der Kerkeling übern Weg.
Die Heimtücke schon im Augenwinkel?
Nun ja, wir gaben ihm sofort einen Vertrag für eine Halbstundensendung, „Kerkelings Kinderstunde“ hieß die, und das war der erste Fall von Vertragsbruch von Herrn Kerkeling; kaum bot ihm der WDR an, „Känguruh“ zu
machen, lief Hape auch schon über, und ich war erstmal drei Jahre lang sauer auf ihn.
Aber Sie haben ihm vergeben.
Wir haben ihn dann gedrängt, doch mal für „Extratour“ in den Außendienst zu gehen und an Haustüren zu klingeln, er sträubte sich und meinte, das könnte er nie; es ging aber hervorragend, und bei der Gelegenheit hat er zum ersten Mal das Wort Waaahnsinn benutzt. So haben wir nach und nach einen Star aus ihm konstruiert. Wir haben sein natürliches Talent dafür entwickelt, das Fernsehen zu verarschen. Das ist überhaupt das schönste, was ich mir vorstellen kann.
Wie kriegen Sie so sicher die Eignung zm Star raus?
Ich hab zum Glück so einen simplen Geschmack. Die ganze Technik interessiert mich einen Scheißdreck, umso mehr die Menschen, und am liebsten mach ich mich leider über andere lustig. Bloß: Worüber ich lache, das gefällt auch den Leuten. Ich mach nur folgendes: Ich merke mir den Moment, in dem ich gelacht habe.
Dann geh ich zu den Moderatoren und bastle mit denen an ihren Nummern, da wird deren spezielle Komik so richtig rausgearbeitet. Bei Hape ging das am besten, wir hatten, fiel mir auf, sogar die selbe Art zu sprechen; da fand diese sonst unausweichliche Entfremdung des Redakteurs hinter der Kamera einmal nicht statt: daß man immer denkt, ach Scheiße, so hab ich mir's grad nicht gedacht. Bei Hape also ganz anders. Ich mußte mich allerdings schon auf ihn einstellen. Ich war ja Journalisten gewohnt, die man losschicken konnte, die nachfragen konnten; das alles kann Hape nicht. Er ist ja vollkommen unfähig, zuzuhören. Der hat seinen Gimmick, den zieht er durch, und dann muß man abschneiden. Die Komik dauert keine Sekunde länger als sie jeweils gesendet wird. Ich hab also selber gedreht, selber geschnitten und dann erst eine Geschichte draus gebastelt. Aber so eindringlich arbeitet, glaub ich, sonst niemand mehr. Anderswo verwalten die Redakteure nur noch ihre Programme; das könnte ich nicht. Ich weiß ja bis kurz vor der Sendung nicht mal, wie's genau werden soll.
Und wenn dann wieder einer abfliegt, den Sie fit gemacht haben? Fühlen Sie sich verraten?
Sagen wir so: Ich kann verstehen, wenn einer bei sechs Millionen schwach wird. Aber seit Hape seinen Vertrag über vier Folgen „Total Normal“ gebrochen hat, sitze ich natürlich voll in der Scheiße, und er weiß das. Weil danach macht man gar nichts mehr; ich kann ja nicht plötzlich anfangen, Singentanzensteppen zu machen, während Hape erstmal fein raus ist: Nachdem wir seine Linie festgelegt hatten, kann jetzt jeder Vollidiot mit ihm arbeiten.
Können Sie auf Dauer verkraften, daß die Privaten alles wegkaufen, was piepsen kann?
Bisher hab ich immer gesagt: Ja, prima, das verjüngt die ARD. Aber mittlerweile krieg ich doch ein bißchen Angst. Es gibt nicht unbegrenzt viele Talente. Und meine Stärke ist ja auch meine Schwäche: Ich lebe von der Hand in den Mund und bin unfähig, auf lange Sicht Erfolge zu planen. Nun gut, vielleicht mal wieder was mit 'nem Erwachsenen, dacht ich mir am Ende, und im gleichen Moment, es war in Berlin, ging Harald Schmidt an mir vorbei, der ja nach „MAZ ab!“ schon ein Star war, und fragte ihn trotzdem, und der wollte glatt sehr gerne nach Bremen kommen; der hatte von mir gehört! Nur leider ist Harald schon ziemlich ausgebucht. Das heißt, wir werden in diesem Herbst bei Radio Bremen selber nichts produzieren. Ich schaff das nicht.
Sie suchen also immer noch einen Nachfolger für Kerkeling. Wie?
Wie immer: Ich klappre die Kleinkunstbühnen ab, ich lese Illustrierte, ich kriege Tips, ich kriege Bewerbungen. Und vor allem: Ich sitze Abende lang vor der Glotze, unentwegt, ich schau mir alles an.
Ein trauriger Fall von Sucht?
Womöglich. Mein Freund sag, ich hab 'ne Macke. Ich weiß nicht, meine Eltern waren hart. Ich durfte nicht fernsehen, bis ich sechzehn war.
Ach so. Dann sagen Sie doch mal, wie's weitergehn wird mit der Unterhaltung im Fernsehen.
Es nivelliert sich. Die ARD ist nur noch an Sachen interessiert, die serienmäßig herzustellen sind, nur weil's die Privaten so vorgeben. Unser kleiner Sender mit einer Kapazität von höchsten sechs 90-Minuten-Sendungen pro Jahr kann da nicht mehr mithalten. Das ist völlig idiotisch, das führt zur Selbstauflösung der ARD. Interview: Manfred Dworschak
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