: Vom Ruhm zum Ruch
■ Ulrich Mickan, Bremer Kneipier, und das Museum für erotische Kunst
Der Bremer Bürger Ulrich Mickan, Inhaber der Szene-Kneipen „Oblomov“ und „Sebastopol“, bekannt durch allerlei lustige Polit-Kulturspektakel, hat in Hamburg die Organisation eines „Museums für erotische Kunst“ übernommen. Standort: Sankt Pauli, direkt am Hafen, in der Bernhard- Nocht-Straße der besetzten Häuser. Anspruch: die Präsentation alter und zeitgenössischer Gemälde, Zeichnungen und Graphiken. Motto: „Erotik ist Hinweis, Pornographie ist Eiweiß“. Hauptfinanzier ist der in Hamburg für seine rasante Altbausanierungspolitik berühmt-berüchtigte Immobilienmakler Claus Becker.
Ulrich Mickan hält sich mit Aussagen über das inhaltliche und ideologische Konzept des „Museums für erotische Kunst“, (geplante Eröffnung: Oktober 92) noch weitgehend zurück. „Wir haben gegen große Vorurteile anzukämpfen. Erotische Kunst ist für die meisten von vornherein Pornographie. Ende September werden wir eine konzertierte Presseaktion starten, um unseren Gegnern mit vollendeten Tatsachen den Wind aus den Segeln zu nehmen.“
Gegnerschaft ist in der Tat vorhanden, und das weniger aus der wohlanständig bürgerlichen Ecke. (Geld von der Hamburger Kulturstiftung ist jedenfalls im Spiel.) Der Verdacht auf künstlerische Unseriösität entsteht weniger im Umfeld der Frage: „Kunst oder Pornographie? „, sondern dieser: „Kultur oder Kommerz?“ Geldgeber Becker investiert auch sonst millionenschwer in Sankt Pauli. In den aufgekauften Häusern um den traditionellen Hans- Albers-Platz will er Cocktail- Bars und luxuriöse Wohnungen einrichten. Seine Immobilienfirma „Stadthaus“ preist sich in ihrem Katalog als Dienstleistungsunternehmen für die Sanierung von „Hausantiquitäten“ samt „Durchsetzung höherer Mieten“ und „Umsetzung von Steuervorteilen“. Daß nun ausgerechnet Claus Becker den Hamburger Kiez zu „neuen kulturellen Höhenflügen“ (Becker gegenüber dem Hamburger Abendblatt) bringen will, ist für Kenner der St. Pauli-Szene ein Witz.
Der Dokumentarfotograf Günter Zint, der mit viel Mühe den finanziellen Grundstock für das 1991 eröffnete „Sankt Pauli Museum“ zusammengebracht hatte, ein Museum mit Ausstellungen zur Geschichte des Stadtteils, Musik, Theater-Variete, Prostitution und Erotik-Kabinett, zuckt über das Becker/Mickan Projekt resigniert die Achseln: „Vor zwei Jahren hatten wir mit Becker über Räumlichkeiten verhandelt, aber wir haben schnell wieder davon Abstand genommen. Becker allerdings fand unsere Idee so gut, daß er vorsorglich eine Sankt- Pauli-Museums-Betriebs G.m.b.H. ins Handelsregister eintragen ließ. Er hat nichts in der Hand, als eine Sammlung verquaster bürgerlicher Pornographie, die er als erotische Kunst ausgibt, und spielt sich als Retter von Sankt Pauli auf.“ Mickans Auskunft, daß Künstler wie Ungerer und Gorsen dem „Museum für erotische Kunst“ Exponate liefern werden, hält Zint für unglaubwürdig: „Ungerer wird demnächst bei uns eine große Ausstellung haben, der gibt bestimmt nichts zu Becker.“
Dafür nimmt Becker einem der ältesten und aus Sankt Pauli nicht wegzudenkenden Läden die Geschäftsräume weg. Das „Museum für erotische Kunst“ will sich in den Räumen von „Harrys Hafenbasar“ einrichten. Günter Zint: „Harry Rosenberg und auch sein Sohn Holger mit seinem Münzsammlungsladen sind Becker- Mieter. Dem Hafenbasar wurde die Miete schon um 500% erhöht.“
Der Bremer Ulrich Mickan ist erst vor kurzem als Organisator des Hamburger Museumsprojektes geworben worden. Seine Bremer Szeneberühmtheit beruht auf Happenings in den 80er Jahren, zu denen auch eine Peep-Show(!)- Persiflage in der Unimensa gehörte, und natürlich auf dem postsozialistischen Plüsch-Puff- Snob-Charme seiner beiden hiesigen Kneipen. Sie könnte aber nur zu leicht umschlagen in eine Berüchtigtheit der Becker'schen Art. Vorerst ja nur im meilenweit entfernten Hamburg. Cornelia Kurth
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