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Das Imperium schlägt zurück

■ 87 Gründungsmitglieder des »Komitees für Festigkeit« trafen sich im Deutschlandhaus am Anhalter Bahnhof

Sie sollen nur kommen, diese Bolschewiken! Wir sind zum Kampf bereit!« Drohend erhebt Richard Löwenthal seine schwere Eichenkrücke. Der »Hermannsaal« des Deutschlandhauses ist gut gefüllt. Nur wenige Tage nach der Gründung des »Komitees für Gerechtigkeit« hat der große alte Mann des Volkszorns zum Gegenschlag ausgeholt. Er sieht durch die Initiative Gregor Gysis und Peter Diestels sein Lebenswerk gefährdet — die deutsche Einheit in Recht und Freiheit. »Das kommunistische Gewaltregime im Osten unseres Vaterlandes war uns politisch und ökonomisch unterlegen«, ruft Löwenthal sichtlich erregt, »und nun versuchen es die Gulagterroristen auf dem Schlachtfeld der Rhetorik. Was sie gut nennen, ist böse. Was sie Fortschritt nennen, ist Steinzeit. Sie sagen Zukunft und meinen Pol Pot!« Löwenthal wendet sich energisch gegen »den Versuch, an den Ergebnissen der 89er Revolution zu rütteln. Der Kuchen ist verteilt, meine Damen und Herren, und wer einen neuen backen will, wird auf unseren Widerstand stoßen!« In seiner Grußbotschaft an das »Komitee für Festigkeit« bedauert Bundeskanzler Helmut Kohl, »daß viele, vor allem sehr junge Menschen, orientierungslos im Osten durch den Weg des Lebens gehen. Ich sehe ganz persönlich immer noch einen eisernen Vorhang in den Köpfen und Herzen der Menschen hüben wie drüben, in den Medien und Parlamenten, den Verwaltungen und Behörden, ich möchte mal sagen, in den linken und rechten Hirnhälften der Menschen, und die müssen endlich eingerissen werden.« Wie das geschehen soll, beschreibt ein weiteres Gründungsmitglied des Komitees, Roberto Blanco. Unter lautem Beifall erzählt der Schlagerstar von seinen positiven Erlebnissen als Minderheit in Deutschland. Er habe auch nichts geschenkt bekommen, wendet sich Blanco direkt an die Bevölkerung der neuen Bundesländer, und mit seinem ersten Künstlernamen Kunta Negro geringen Erfolg gehabt. Seitdem er jedoch seinen Namen geändert habe, rolle der Rubel, »das ischt Marktwirtschaft, wie ich de Ossis empfehle«. Ein wenig mehr Bescheidenheit, ein Grinsen hier, ein freundliches Lächeln dort, und schon würde sich manches durch die Großzügigkeit der Westdeutschen in Wohlgefallen auflösen, »was de Ossis Probleme nennen«. Besonders freundlich wird Hendryk M. Broder empfangen. Broder hatte den Gründungsaufruf zum »Komitee für Gerechtigkeit« verpaßt, gleichzeitig jedoch einen neuen Vertrag für den »Heißen Stuhl« bei RTLplus zum Thema »Deutschland — was nun?« unterschrieben. Ein Publizist muß jedoch publizieren, also versucht Broder nun nachzuweisen, daß Papst Johannes PaulII aus Sorge um die Ostdeutschen am Darm erkrankt sei. »Meine Brüder und Schwestern aus dem Osten Deutschlands«, zitiert Broder den Papst, »haben gegen ein Grundprinzip des Christentums verstoßen: Wenn dir jemand auf die linke Wange schlägt, so halte ihm auch die rechte hin!« Die Größe eines Menschen habe sich schon immer durch seine Leidensfähigkeit gezeigt, und da könnten die Ostdeutschen noch einiges lernen, zum Beispiel von den Brüdern und Schwestern in Kroatien. Im übrigen, so Broder, zeigten die jüngsten Wahlergebnisse in den neuen Bundesländern, daß die dortige Bevölkerung zunehmend von der PDS unterwandert würde und sich daher nicht wundern dürfe, wenn ihnen »das demokratische Bonn die kalte Schulter zeigt«. Die Veranstaltung endete so, wie sie begonnen hatte; die Komiteemitglieder faßten sich an die Hände und sangen »We are the Champions« von der Popgruppe Queen. Der CDU-Bundestagsabgeordnete Heinrich Lummer begründete bei einem Pressegespräch die Auswahl dieses Liedes mit der Feststellung, die drittte Strophe der Deutschlandhymne sei doch inzwischen zu einem Kampflied der Ostdeutschen verkommen und daher für das Komitee nicht mehr singbar. Werner

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