: Nachts, wenn die Faschos kommen ...
Eberswalde — eine Kleinstadt in Angst/ Seitdem die Rechtsradikalen nicht nur Ausländer, sondern auch Einheimische angreifen, ist die Toleranz gegen Faschos und Skins merklich gesunken/ Täter und Opfer kennen sich ■ Aus Eberswalde Bascha Mika
Sie sind alle brave Bürger. Natürlich, gegen Ausländer haben sie etwas. Aber das ist doch fast normal in Deutschland. Natürlich, die Jungs in der Stadt haben sich verändert. Mit Vorliebe lassen sie sich Glatzen scheren und in Kampfmontur blicken. Aber was heißt das schon. Man ist doch tolerant in Eberswalde-Finow. Auch gegenüber Rechtsradikalen. Nicht wahr?
Die Hände gefaltet, den Kugelbauch vorgestreckt, sitzt der Wirt des „Hüttengasthofs“ in seinem Schankraum. Schön findet er seine Heimat, so mitten in der brandenburgischen Schorfheide, nur sechzig Kilometer weit weg von Berlin. Da sind die Seen und reichlich Wald; da ist die Stadt, die durchaus ihre Reize hat für ihre knapp sechzigtausend Einwohner. Hier ließe sich's leben, vielleicht gar nicht so schlecht.
„Die Leute haben Angst“, murmelt der Wirt, schweigt, dann ergänzt er: „Vor den Rechten! Vor allem nachts. Sogar die Frauen bewaffnen sich.“ Oder sie gehen wie ihre Männer einfach nicht mehr raus, wenn es dunkel wird. Denn dann gehören die Straßen den Banden, den Skins, den Faschos.
Die toben sich in den letzten Monaten nicht nur an Ausländern aus, auch Einheimische kriegen was ab. Hier wird einer zusammengeschlagen, der seinen Hund ausführen will, dort holt sich jemand ein blaues Auge, weil er in der Kneipe über die falschen Füße gestolpert ist. Vor drei Wochen drangsalierte eine Horde Skins einen ganzen Zeltplatz. Im Mai quartierte sich eine Bande in einem Gasthof am Üdersee ein, soff und fraß, was das Zeug hielt — auf Kosten des Wirts. Die Polizei wartete um die Ecke. Grund zum Eingreifen sah sie nicht. Der Wirt erstattete keine Anzeige. Sein Lokal war ihm wichtiger.
Seit dem diese Geschichten kursieren, sind die Eberswalder ihren Jugendlichen nicht mehr so wohlgesonnen. Angst haben sie. In der Stadtverwaltung hört man das nicht so gern. Eberswalde — eine Hochburg der Rechten? „Das stimmt nicht. Das behaupten nur die Medien“, ärgert sich Kai-Uwe Krakau, Pressesprecher der Stadt.
„Früher“, erzählt eine junge Friseuse, „bin ich nachts zu Fuß von Eberswalde nach Finow gelaufen. Heute? Nüscht!“ Zur anderen Seite der Doppelstadt sind es rund drei Kilometer. Wenn sie den Bus verpaßt, traut sich die 19jährige nur noch im Taxi heim. „Da biste mit denen zur Schule geloofen. Plötzlich schneiden sie sich Glatzen, und du hast Angst vor denen.“ Jetzt hört man sie öfter in der Stadt, die Stimmen die „hartes Durchgreifen“ fordern. „Die gehören doch in Knast“, sagen zwei Büroangestellte. Aber daß die Polizei es schafft, sie dahin zu bringen, glauben die beiden nicht.
„Jede zwölfte Straftat in unserem Bezirk“, zählt der Sprecher des Polizeipräsidiums auf, „ist ein Rohheitsdelikt“ — Gewalt in allen Schattierungen. Davon wären „eine ganze Reihe“ der rechten Szene zuzuordnen. Eine Sonderkommission „Gewaltsame Gruppierungen“ soll sich damit beschäftigen. Elftausend Delikte wurden im Präsidialbereich Eberswalde im letzten halben Jahr begangen, sechzig Mal waren Ausländer die Opfer. „Man kann also nicht sagen“, meint Eberhard Herrmann, „daß es nur gegen Ausländer geht.“ Aber immer noch oft genug. Kurze Zeit hatte sich die Szene gegenüber den Fremden zurückgehalten. Denn der Prozeß gegen fünf ihrer Kumpels, die 1990 den Angolaner Amadeu Antonio totgeschlagen haben sollen, stand bevor. Das Verfahren begann Anfang Juli. Die Skins und Faschos aus Eberswalde, aus Gartz und Schwedt bevölkerten den Gerichtssaal; mit ihren Zeugenaussagen sorgten sie entscheidend dafür, daß die Verhandlung nach über zwei Wochen nicht etwa abgeschlossen, sondern bis Mitte August vertagt wurde. — „Mir war es schon unheimlich, als es so ruhig blieb“, erzählt Jutta K. Sie ist mit einem Schwarzen befreundet, wurde bedroht, zusammengeschlagen, auf der Straße als „Negerschlampe“ beschimpft. Wie sie geahnt hat, blieb es nicht lange ruhig. Vorgestern zogen Skins zu einem Flüchtlingswohnheim bei Prenzlau. Mit Baseballschlägern, Eisenstangen, Reizgas. Sie randalierten, warfen Steine, demolierten anschließend das Schaufenster eines türkischen Ladens. Fünfzehn von ihnen wurden festgenommen. Die Staatsanwaltschaft Frankfurt/Oder hatte noch letzte Woche verbreitet, sie habe die rechtsradikale Kriminalität unter Kontrolle. Sprecher Parzyjegla: „Wir sind an rechten Straftätern hartnäckig drangeblieben, das schreckt die Szene doch ab.“ In Eberswalde versuchte man es bisher mit sehr viel Verständnis. „Spontantaten unter Alkoholeinfluß“, nannte es das Jugendamt, wenn Schwarze und Vietnamesen angegriffen wurden. „Gruppenzwang, Perspektivlosigkeit“, waren die anderen Schlagworte.
„Die Skins würden hier am liebsten jeden einzelnen Ausländer totschlagen“, sagte Gabi Sch., die Freundin des toten Angolaners, verbittert. Aus Angst vor den Rechten hatte sie die Stadt verlassen. Zum Prozeß ist sie zurückgekommen und will jetzt „für immer bleiben“. Doch Eberswalde zeigt ihr und ihrem „Negerbastard“ deutlich, wie wenig sie erwünscht sind. Mit dem einjährigen Sohn Antonios fuhr sie im Bus. „Der kleine Amadeu hat einer Frau vor mir auf die Schulter gefaßt. Sie stieg aus und wischte sie ab, als hätte sie Dreck drauf.“
Am letzten Wochenende fielen ein Ausländer und ein Einheimischer gemeinsam den Faschos in die Hände. Methin B. Und Wolfgang Z. wollten gegen Mitternacht im Hüttengasthof ein Bier trinken. Der eine ist Asylsuchender, der andere Betreuer im Flüchtlingswohnheim von Eberswalde. Nur dreihundert Meter ist der Gasthof entfernt. Dort saß am Tresen Frank B. Ein stadtbekannter Rechtsradikaler ist er, hat Jutta K. und Gabi Sch. mehr als einmal bedroht. Das weiß auch die Polizei. Er ging auf Methin zu. „Ich wollte noch mit ihm reden“, berichtet der Türke. Da schlug Frank B. schon zu. Mit der Faust ins Gesicht. Methin haute ab. Dann knöpfte sich Frank B. Wolfgang vor: „Ist das dein Freund?“ „Ja, ist mein Kumpel.“ „Der ist doch ein Ausländer.“ Sprach's, holte aus, schlug drauf. Wolfgang flüchtete zum Asylwohnheim. Methin war schon da. Zwanzig Skins kamen grölend hinter ihnen her. „Doch als sie bei uns am Tor waren“, berichtet der Wachmann der Notunterkunft, „hatten sich unsere Männer aus dem Heim schon draußen versammelt. Mit allem, was sie hier als Waffe benutzen können. Und dann kam auch die Polizei, und da zogen sie ab.“ Wolfgang und Methin erstatteten Anzeige wegen Körperverletzung.
„Früher war Frank mal ein Kumpel von mir“, erinnert sich Wolfgang Z. zögernd. „Früher konnte man sich normal mit ihm unterhalten. Aber jetzt ist der Haß so stark.“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen