: Acht Dollar und ein Ohrwurm
■ »42.Street« zeigt vier Wochen lang im Metropol, was vor zehn Jahren am Broadway Standard war
Irgendwo irgendwann hat man sie dann doch schon mal gesehen: Die großen US-Film-Musicals der dreißiger Jahre, in denen das Choreographie-Genie Busby Berkley die Revue-Girls nicht zu Dutzenden, sondern gleich zu Tausenden auf die Freitreppe schickte, wo das kleine begabte Revuegirl Suzie, Peggy oder Hillary nach vielen Irrungen und Wirrungen endlich die große Chance erhält — und natürlich der Star der Broadway-Saison wird. Ob »The Gold-Diggers of 1933« oder »Broadway Melody« — kennt man einen dieser opulenten Revue-Filme, kennt man sie alle. Und trotzdem geht es immer wieder zu Herzen, wie da die Intrigen das Talent verhindern wollen, alte Schachteln auf ihre Hauptrolle pochen und jugendliche Liebhaber hinter ihrer großen Liebe hertanzen müssen.
Der Prototyp dieser »Back-Stage- Musical« ist der Film »42.Street«. 1933 ein Welterfolg der Warner Brother Studios, fünfzig Jahre später, mittlerweile für die Bühne adaptiert, ein Dauerbrenner am Broadway. Achteinhalb Jahre lang kam die kleine Peggy Sawyer Abend für Abend unschuldig im »Winter Garden« am Broadway an, ergatterte sich einen Platz in der Chorus-Line, verliebte sich in den Regisseur, rannte weg, kam wieder und wurde am Ende der Star der Saison.
Jetzt ist diese erfolgsverwöhnte Original-Broadway-Show auf großer Welttournee, und nachdem die solargebräunten Dancer und Singer zwischen Hamburg bis München bereits die gesamte Deutsche Republik abgegrast haben, dürfen jetzt endlich auch wir Berliner im Metropol-Theater vier Wochen lang begutachten, was vor zehn Jahren einmal Broadway-Standard war. »Thirtyfive dancers, and they all dance at once!« hatte uns die etwas angejahrte platinblonde Hauptdarstellerin Elizabeth Allen vorab auf einer Pressekonferenz angedroht. Und wirklich, kaum hebt sich der erste Vorhang im Metropol-Theater, stehen da unzählige durchtrainierte junge Menschen auf der Bühne, die so rhythmisch auf den Bühnenboden einstampfen, daß es eine wahre Pracht ist.
Es ist audition. Was das ist, weiß man spätestens seit »A Chorus- Line«, dem einzigen Musical, das sich noch länger am Broadway halten konnte als »42.Street«. Und während die jungen Leute noch vor sich hinsteppen, als seien sie nur dafür auf der Welt, kommt die kleine Peggy Sawyer hereingestürmt, ergattert sich einen Platz in der Chorus-Line, verliebt sich in den Regisseur, rennt weg, kommt wieder und wird am Ende der Star des Abends.
Es könnte ja alles so schön sein wie bei Busby Berkley, so herzschmerzig, großartig und rührselig. Boy gets girl, a star ist born, and the show must go on. Ist es nicht genau so, das wahre Leben? Darcie Robert, die Darstellerin der Peggy Sawyer, ist selbst erst süße achtzehn Jahre alt. Am Broadway hatte sie sich mit Schweiß und Talent vor wenigen Jahren einen Platz in der Chorus- Line von »42.Street« ergattert. Heimlich habe sie die Tanzschritte der Hauptrolle studiert, erzählt uns Choreograph Jon Engstrom mit amerikanischer Rührung in den amerikanischen Augen, und heimlich habe er sie dabei beobachtet. Ja, so werden Stars geboren. Alles ist möglich in Amerika. Wenn man es nur will.
Und sie wollen alle, diese sterilen jungen Leute, die, selbst in der größten Anstrengung noch strahlend lächelnd mit den Füßen auf den Boden stampfen. Leider gibt es abseits dieser Step-Tiraden nicht viel Großartiges zu sehen. Hatte Busby Berkley noch 200 Girls mit 200 Dollar-Münzen in 400 Händen gezeigt, sind es in der Reiseversion von »42.Street« nur noch unscheinbare acht. Wo Ginger Rogers Nervosität noch an ihren hektisch tänzelnden Schritten hinter der Bühne ablesbar war, sitzt Darcie Roberts, die Unruhe perfekt imitierend, ruhig in der Kulisse. Die intimen Kammerspielszenen — allesamt vergeben. Die Küsse — Atempausen für die Tänzer. You leave as a youngster, you'll come back as a star! muß die alternde Diva dem jungen Mädchen kurz vor dem großen Showdown noch einschärfen. Aber, ach! Nach über 2.000 Vorstellungen klingt Elisabeth Allens Beschwörungsformel so gehaltvoll wie die neue Ariel-Reklame.
Nicht alles wird besser, wenn man es zwölf Jahre konserviert. Heute Tokio, morgen Paris. Immer die gleiche Dekoration, immer die gleichen Gefühle. Abend für Abend funktioniert alles mit der Präzision einer Schweizer Taschenuhr. Nur daß kein Chronometer auf die Idee käme, Bühnenkunst zu machen.
Wenn es wirklich nur diese jungen, nichtssagenden Step-Monster sind, die mit ihren durchtrainierten Körpern demnächst unsere Theater bevölkern sollen, dann sollten wir die Türen des Metropol-Theaters oder der Freien Volksbühne vielleicht wirklich ersatzlos vernageln. Wenn für das Theater zur Zeit Geld fehlt, ist das tragisch. Wenn zwischen den Tanz- und Glitzerorgien auch noch das Gefühl fürs Geschichtenerzählen abhanden gekommen ist, dann ist das allerdings eine Katastrophe. Klaudia Brunst
Täglich 20 Uhr im Metropol-Theater, Friedrichstraße 101-102
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