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Placido Domingo unter Kampfgiraffen

Die Eröffnungsfeier der XXV. Olympischen Spiele hatte allerhand Kuriosa zu bieten: Das Volk pfiff nicht auf den König, Richard von Weizsäcker kam als Helmut Kohl, modisch dominierte bei der Athletenkluft das Modell „Europa-SekretärIn“  ■ Aus Barcelona Michaela Schießl

Rote Rauchwolken stiegen auf, als Spaniens König Juan Carlos das Olympiastadion in Barcelona betrat. Eine Sekunde lang zögerten die 65.000 Zuschauer, dann applaudierten sie — und dem katalanischen Präsidenten Jordi Pujol fiel ein Stein vom Herzen. Er hatte sein Volk inbrünstig gebeten, den König entgegen der Gepflogenheit diesmal nicht auszupfeifen. Es tat ihm den Gefallen, hatte man sie im dritten Anlauf doch noch bekomen, die nunmehr XXV.Olympischen Spiele der Neuzeit — Dankbarkeit bezwang politisches Gefühl.

Eine avantgardistische Eröffnungszeremonie vom Feinsten hatten die Barcelonesen versprochen, und kurzerhand die berüchtigste Theatergruppe der Stadt, die „Fura dels Baus“, mit der Choreographie beauftragt. In den vergangenen Jahren versetzte die Gruppe mit ihren aggressiven Performances halb Europa in Angst und Schrecken. Mal flexten sie unter infernalischem Lärm ein Auto auseinander und warfen mit den scharfkantigen Überresten, mal schleuderten sie blutige Gedärme um sich. Doch vor den Augen der Welt gab sich die Gruppe weniger gewalttätig.

Nachdem Placido Domingo seine Stimmbänder vibrieren ließ, tanzte Spaniens berühmte Flamencotänzerin Christina Hoyos. Sie drehte und wendete sich so verzweifelt, als versuche sie, dem olympischen Geist auszuweichen — umsonst. Geschlagen jagte sie auf einem schwarzen Pferd im gestreckten Galopp davon. Hinein kam ein meterhoher, stählerner Herkules, stiefelte auf die Bühne und ließ das Mittelmeer los: Tausende von Akteuren in rochenartigen Kostümen überschwemmten den Innenraum.

Überschattet wurde die blauglitzernde Schönheit von einem schlimmen Fall von Kinderarbeit: Eine Horde zerlumpter Minderjähriger zog einen Container ins Meer und verschwand spurlos. Wahrscheinlich ertrunken. Die Silberbox entpuppte sich als eine Art Galeere. Leider wurde die lustige Seefahrt in Richtung Zivilisation von schlecht gelaunten Monstern gestört. Ein mit Schwertern gespickter Kugelfisch bedrohte das Schiff, unterstützt von nicht minder zwielichtigen Komplizen: eine aufgeblasene Hydra, ein Bataillon Sägefische, apokalyptischer Archeopterixe, Kampfgiraffen und riesige Stierhörner.

Eine erbitterte Schlacht begann, und endlich konnten die „Baus“ blutige Leiber einbauen. Am Ende gewannen natürlich die Guten, landeten in der neuen Welt und bauten eine Stadt. Wahrscheinlich gründeten sie auch gleich einen Verein.

Folgerichtig begann alsdann der Einmarsch der 172 Nationalteams. Wie immer war deren Aufmachung wenig phantasievoll, es dominierte das Modell „Europa-SekratärIn“ — Einreiher über engen Röcken und Anzughosen. Viele Afrikaner und Araber kamen als Beduinen und Scheiche, die Australier im gemäßigten Crocodile-Dundee-Kostüm. Was die Delegation aus Bermuda trug, wird nicht verraten. Richtungsweisend der Stil der Mongolei: Badehosen mit Stiefeln.

Beklatscht wurden alle mit Ausnahme der Iraker, denen man den Golfkrieg nicht vergessen hatte. Frenetisch feierten die 65.000 die Sportler aus Bosnien-Herzegowina, Slowenien, Kroatien und die unter zwölf Flaggen auflaufende GUS. Auch das erste gesamtdeutsche Team seit 1964 wurde begrüßt, einzig Staatspräsident Richard von Weizsäcker lächelte gequält. Er wurde als „Kanzler Helmut Kohl“ angekündigt. Eine Verwechslung, die selbst dem Tolerantesten die Laune verdirbt. Da half weder die Entschuldigung bei „Richard von Weiszacker“, noch das skurrile Bild, das der deutsche Fahnenträger bot.

Denn mit dem Steuermann des Ruder-Achters, Manfred Klein, ließ man einen der Schmächtigsten das schwere Banner schleppen. Die Wahl des Goldmedaillisten 1988 wurde allgemein begrüßt, einzig die Worte von NOK-Chef Willi Daume verursachte Unmut. Seine Begründung, der nur 50 Kilogramm schwere Klein wirke „so schön bescheiden“ wurde einhellig als ein übler Akt von Gnomenfeindlichkeit verurteilt.

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