piwik no script img

Prominenter St. Pauli-Kitsch

■ Das Herz von St. Pauli stellt den Stadtteil als reines Amüsierviertel vor

stellt den Stadtteil als reines Amüsierviertel vor

„Alle meine Freier heißenMeier“, verkündete Ex-Hure und Neu-Streetworkerin Domenica auf dem Album Das Herz von St. Pauli. Der Macher dieses Tonträgers, zu dem noch andere Künstler wie Udo Lindenberg, Freddy Quinn und Achim Reichel Liedgut beisteuern, begnügt sich nicht nur mit dem Sampler. Ein gleichnamiges Buch soll den wirklichen Einblick in das Schmuddelviertel vermitteln.

In dem buntbebilderten Billigpaperback läßt Herausgeber Jürgen Stark allerdings in erster Linie die Prominenten vom Kiez in Interviews zu Wort kommen: Alternativshow-Mogul Corny Littmann fehlt ebensowenig wie Domenica, Bumsshow-Magier René Durand und St. Pauli-Fanbeauftragter Sven Brux komplettieren das Feld. Fotos und Aussagen von Nicht-Prominenten fehlen gänzlich.

Gezeichnet wird ein Bild des Stadtteils als Konglomerat von „Swinging 60ies“ und der Wiederentdeckung der Außenseiter-Enklave Ende der 80er Jahre aus den Ruinen der siebziger Jahre heraus, in denen Peepshows und Spielhallen das Bild prägten. Das Ganze natürlich vom Seemannssohn Jürgen Stark mit ein wenig Hafenromantik gewürzt. Ein Anflug von Kritik liegt schon in der Laudatio des Autors auf sein St. Pauli. Mehrfach wird die Befürchtung geäußert, daß der Kiez etwas von seiner Ursprünglichkeit verlieren könnte. Warum versuchen allerdings hauptsächlich Promis den Stadtteil ins rechte Licht zu rücken?

Unterschwellig wird zwar die Befürchtung geäußert, daß St. Pauli zu einem weiteren innenstadt-nahen Geschäftsviertel verkommt, aber durch die Art und Weise wie der Stadtteil als Spielwiese Prominenter und schickes Amüsement- Viertel für die Jugend dargestellt wird, hilft dieses Buch dem Stadtteil den Garaus zu bereiten. Auch andere Stadtteile wurden zuerst von der Jugend entdeckt, bevor sie zur Society-Enklave mutierten.

Positiv zu erwähnen ist der Serviceteil, der jedem Kapitel folgt: Von Szene-Tränken bis zu den Preisvorstellungen der Damen des Gewerbes — alles wird dem Neugierigen erläutert.

Insgesamt aber ist zu resümieren: Für einen Hamburger eine überflüssige Lektüre. Aufschlußreicher als dieses Buches ist ein Besuch im St. Pauli-Museum (das leider Ende August schließen muß) und ein Kiezbummel. Auch Karl- Heinz und Anneliese aus Pinneberg kennen sich mittlerweise blind auf dem Kiez aus. Bleibt als potentielle Leserschaft nur der gemeine Tourist. Kai Rehländer

Kammerer&Unverzagt-Verlag, 176 Seiten

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen